Osteologie 2020; 29(01): 64
DOI: 10.1055/s-0039-3402875
2. Posterbegehung 2
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wenn Knochenwachstum die Sehkraft reduziert

U Lange
1   Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin, Campus Kerckhoff, Universität Gießen, Bad Nauheim, Germany
,
G Dischereit
2   Rheumazentrum Mittelhessen, Bad Endbach, Germany
,
P Klemm
1   Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin, Campus Kerckhoff, Universität Gießen, Bad Nauheim, Germany
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Publication Date:
25 February 2020 (online)

 

Einleitung Vorgeschichte: Im 49. Lebensjahr traten bei einer Frau erstmals Knochenschmerzen im Kopf- und Wirbelsäulenbereich auf. Bei anamnestisch spürbarem Knochenwachstum zeigten die Röntgenaufnahmen der HWS eine diffus fleckige Dichtevermehrung des Knochens, insbesondere im Deckplattenbereich mit vermehrter Sklerosierung ventral. In der cCT war eine ausgeprägte Verdickung der gesamten Kortikalis bei kaum noch vorhandener Spongiosa zwischen Lamina interna und externa und deutlichen Hyperostosen im Bereich der Felsenbeine objektivierbar. Histologisch konnte die Verdachtsdiagnose der endostalen Hyperostose Morbus Worth bestätigt werden. Mit dem Ziel, das weitere Knochenwachstum zu hemmen, wurde eine Bisphosphonattherapie (BPT) mit zunächst Alendronat 70 mg/Woche und später Ibandronat für sechs Jahre durchgeführt. Darunter waren die Knochenumbauparameter gut rückläufig. Im QCT waren eine progrediente Abnahme des spongiösen und eine deutliche Zunahme des kortikalen Knochens objektivierbar. Anamnestisch wurde eine deutliche Schmerzreduktion berichtet.

Ergebnisse Hauptgeschichte: Nach Beendigung der Therapie ereignete sich ein „Rezidiv“. Bei Taubheit von D III-V beidseitig und Parese des linken Armes musste eine zervikale Foraminal- und Spinalkanalstenose in Höhe C4-6 operativ versorgt werden. Als Korrelat der erneut manifesten Kopfschmerzen sowie einer neuen Einschränkung des Gesichtsfeldes zeigten sich in der cMRT Einengungen des Canalis opticus und des Canalis acusticus internus beidseits. Elektrophysiologisch wurde die Schädigung beider Nn. optici bestätigt. Nach 1,5 Jahren Therapiepause erfolgte daher eine erneute BPT (Ibandronat 3x2 mg alle 4 Monate), begleitet durch Fortecortin 4 mg täglich über ein halbes Jahr. Unter der Glukokortikoidtherapie konnte eine rasche Besserung der ophthalmologischen Symptomatik erreicht werden, musste jedoch aufgrund einer Manifestation eines Diabetes mellitus Typ II beendet werden. Trotz des „initial“ guten Ansprechens auf die BPT über sechs Jahre kam es im weiteren Verlauf unter erneuter BPT zu einer zunehmenden Knochenneubildung mit progredienter Stenosierung der Canali optici und schließlich zur Optikusatrophie und völligen Erblindung. Die Patientin verstarb aufgrund eines Myokardinfarktes nach etwa 12-jährigem Krankheitsverlauf.

Diskussion Zusammenfassung/Take-Home-Message: Beim M. Worth handelt es sich um eine seltene, sklerosierende monogenetische Knochenerkrankung (Punktmutation im LRP5 [Low-Density-Lipoprotein-Receptor-related-Protein]-Korezeptor) mit Zunahme der osteoblastengetriggerten Knochenformation. Therapiemöglichkeiten, um diese schwerwiegenden Störungen der normalen Homöostase des Knochenstoffwechsels zu beeinflussen oder gar zu heilen, existieren bis heute nicht. Die BPT war in diesem Fall über lange Jahre effektiv und wirksam.

Keywords endostale Hyperostose, sklerosierende Knochenerkrankung, M. Worth

Korrespondenzadresse Uwe Lange, Campus Kerckhoff, Universität Gießen, Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin, Benekestr. 2–8, 61231 Bad Nauheim, Deutschland, Germany

E-Mail U.Lange@kerckhoff-klinik.de