Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696181
Symposien
S26 DG SPS-Symposium ‚Sucht in ethischer Perspektive‘
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sucht und Selbstverantwortung

Ethische Reflexionen zu einem schwierigen Verhältnis
M Wallroth
Fachhochschule Münster
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Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

“(…) one who is defeated by an appetite is more like a collaborationist than an unsuccessful freedom fighter. This explains why it can feel especially shameful; to one degree or another, it seems to compromise oneʼs integrity. A parallel point holds for addictions (…) it enslaves by appeal, rather than by brute force” (Gary Watson 1999, S. 7).

Der Vortrag geht anschließend an diese Feststellung Gary Watsons davon aus, dass süchtiges Agieren sich in der Selbstwahrnehmung der Betroffenen zurecht und unaufhebbar als moralisch ambivalent darstellt: Weder lässt sich süchtiges Agieren mittels eines plakativen Krankheitsbegriffes vollständig exkulpieren (die Betroffenen spüren intuitiv selbst die Unaufrichtigkeit einer solchen Haltung, die eine Kompromittierung der eigenen moralischen Integrität durch das süchtige Agieren verleugnet und ihnen damit Selbstverantwortung pauschal abspricht) noch kann das süchtige Agieren umstandslos und vollständig als in jeder Hinsicht freiwilliges Handeln ihrer persönlichen Verantwortung zugerechnet werden (die ‚Versklavung des Willensʼ durch den ‘Appealʼ des Suchtmittels ist keineswegs einfach mit Willensschwäche gleichzusetzen und zeigt Züge einer fatalen Eigendynamik und Verstrickung, die auch neurophysiologische Spuren hinterlässt).

Im Zentrum des Vortrags steht ausgehend von einer näheren ethischen Analyse der ambivalenten Innensicht süchtigen Agierens die Frage, ob und wie professionelle Helfer den betroffenen Akteuren dabei helfen können, Sucht als die moralische Herausforderung, die sie im Kern darstellt, zu meistern. Gute therapeutische Praxis erscheint dabei in dem Sinne selbst als ‚ethischer Eingriff‘, dass sie den Betroffenen eine vertiefte ethische Selbstreflexion eigener Verantwortlichkeitspotenziale ermöglicht, um ihnen die Aussicht auf eine praktisch wirksame moralische Neuorientierung ihres eigenen Handelns zu eröffnen.

Zitat aus: Watson, Gary (1999). Disordered Appetites: Addiction, Compulsion and Dependence. In Jon Elster (Ed.), Addiction. Entries and Exits (pp. 3 – 28). New York: Russell Sage Foundation