Gesundheitswesen 2019; 81(08/09): 749
DOI: 10.1055/s-0039-1694618
Kongresstag 3: 18.09.2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizinische Versorgung von Asylbewerber*innen: Soziale Unterstützung und ihre Akteur*innen

M Kleinke
1   Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg
,
BP Robra
1   Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg
,
A Spura
2   Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA, Köln
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Publication History

Publication Date:
23 August 2019 (online)

 

Einleitung:

Asylbewerber*innen müssen neben den Zugangsregulierungen des Asylbewerberleistungsgesetzes verschiedene Hürden überwinden, um medizinische Versorgung zu erreichen. Auch die Navigation in einem neuen Gesundheitssystem ist zu bewältigen. Ziel der Studie war es, Selbsthilfe- und Unterstützungsleistungen sowie deren Akteur*innen im Zugang und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung aus Asylbewerber*innenperspektive zu identifizieren.

Methode:

Von August bis November 2015 wurden 16 dolmetscher*innenunterstützte Leitfadeninterviews mit Asylbewerber*innen (m = 10, w = 6), die in Sachsen-Anhalt medizinische Hilfe suchten, geführt. Diese wurden im Hinblick auf Unterstützungsprozesse und -akteur*innen mit einer qualitativen Inhaltsanalyse deduktiv-induktiv ausgewertet.

Ergebnisse:

Gegenseitige interpersonale Unterstützung und (teilweise online-basierte) Selbsthilfeaktivitäten sind in den Erfahrungen der Befragten sehr wichtig und helfen, Zugangsbarrieren durch bürokratische und teilweise nicht koordinierte Regelungen („Krankenscheinbürokratie“) zu überwinden. Weitere unterstützende Akteur*innen sind Sozialarbeiter*innen – die die Befragten nicht dem staatlichen Hilfesystem zuordnen – sowie freiwillige Helfer*innen und Mitarbeiter*innen der Sammelunterkünfte, deren Rolle in der Schnittstellenarbeit und der Vermittlungsfunktion zwischen Asylbewerber*innen, Behörden und Ärzt*innen deutlich wird.

Diskussion:

Im Untersuchungszeitraum waren das Sozial- und Gesundheitssystem noch nicht genügend aufeinander abgestimmt. Die Ergebnisse sind anschlussfähig an das Modell der Sozialen Unterstützung als emotional, instrumental, informational sowie appraisal support (House, 1981). Das Selbsthilfepotential der Gemeinschaften der Asylbewerber*innen ist im Hinblick auf medizinische Versorgung vielseitig, solidarisch und zielführend. Es scheint sinnvoll, Selbsthilfe als gesundheitliche Ressource zu unterstützen, etwa durch Förderung der Selbstorganisation und (digitale) Vernetzung (Erweiterung von §20h SGB V). Sozialarbeiterische Unterstützung kann gefördert werden durch einen höheren Betreuungsschlüssel und die Sicherstellung ihrer Erreichbarkeit auch für dezentral untergebrachte Asylbewerber*innen. Hilfreich erscheint auch die Förderung von Begegnungsmöglichkeiten zwischen Asylbewerber*innen und Zivilgesellschaft.