Gesundheitswesen 2019; 81(08/09): 735
DOI: 10.1055/s-0039-1694576
Kongresstag 3: 18.09.2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lehrkräftegesundheit als Adressierungsgeschehen. Perspektiven einer anerkennungstheoretisch fundierten kritischen Lehrkräftegesundheitsforschung

S Meißner
1   Friedrich-Schiller-Universität JenaInstitut für Erziehungswissenschaft, Jena
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. August 2019 (online)

 

Einleitung:

Mehrere Forschungsarbeiten belegen inzwischen die Relevanz reziproker sozialer Anerkennung für das Selbstwertgefühl und die Gesundheit von Lehrkräften (Meißner et al., 2018; Lehr et al., 2009). Theoretisch rekurrieren diese Arbeiten auf das in der Lehrkräftegesundheitsforschung zunehmend an Bedeutung gewinnende Effort-Reward-Imbalance-Modell (Siegrist, 1996). Dessen anerkennungstheoretischen Grundlagen, die Anerkennung als Modus von Bestätigungshandeln konzeptualisieren, erweisen sich jedoch als unzureichend für die Erforschung der Frage nach Anerkennung als Gesundheitsressource.

Vor diesem Hintergrund lotet der Beitrag theoretisch wie empirisch die analytischen Potenziale der Anerkennungstheorie Judith Butlers für Fragen der Lehrkräftegesundheit aus. Anerkennung wird hierbei verstehbar als „Struktur und Medium der Subjektkonstitution“ (Balzer, 2014, S. 581), welche mithilfe der Adressierungsanalyse empirisch operationalisierbar wird (Ricken et al., 2017).

Methode:

Grundlage der empirischen Exploration ist Material aus sieben Gruppendiskussionen mit insgesamt 28 Lehrkräften unterschiedlicher Schularten, die im Kontext des BMBF-geförderten VorteilJena-Teilprojektes „Gesunde Lehrkräfte durch Gemeinschaft“ erhoben und sequenzanalytisch rekonstruiert wurden.

Ergebnisse:

Diese Explorationen verdeutlichen, dass Anerkennung in Schulen ein inhärent dynamischer, ambivalenter und machtförmiger Prozess ist. Einzelschulen wie Kollegien stellen zentrale Subjektivierungsinstanzen mit je eigenen Anerkennungsordnungen dar, die ihre Mitglieder in spezifischer Weise adressieren und damit integrieren, differenzieren, hierarchisieren und exkludieren. Sie präfigurieren dadurch, welche professionellen Herausforderungen und Belastungen legitim und damit anerkennbar sind und wie mit ihnen umgegangen werden soll.

Diskussion:

Abschließend zeichnet der Beitrag die Konturen einer anerkennungstheoretisch fundierten kritischen Lehrkräftegesundheitsforschung nach, die es gestattet, über die bislang stark personenzentrierte Zugangsweise zur Gesundheit von Lehrkräften hinauszugehen und diese als Mehrebenenphänomen mit bestätigenden und identitätsstiftenden, aber ebenso verwerfenden und verletzenden Momenten in den Blick zu nehmen.