Gesundheitswesen 2019; 81(08/09): 691
DOI: 10.1055/s-0039-1694439
Kongresstag 2: 17.09.2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Depression ist nicht mannbar“. Eine qualitative Studie zur Bedeutung von Geschlecht in der Behandlung von Männern mit Depressionen aus Sicht psychiatrischer Fachkräfte

M Stiawa
1   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm am BKH Günzburg, Ulm
,
S Krumm
1   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm am BKH Günzburg, Ulm
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Publication History

Publication Date:
23 August 2019 (online)

 

Einleitung:

Männer weisen im Vergleich zu Frauen niedrigere Depressionsprävalenzen bei höheren Suizidraten („Genderparadox der Depression“) und eine spätere Inanspruchnahme von psychiatrischen/psychotherapeutischen Versorgungsangeboten auf. Um einen ungedeckten Behandlungsbedarf zu decken, werden zunehmend Forderungen nach geschlechtssensiblen Behandlungsangeboten formuliert. Befragungen von psychiatrischen Fachkräften zu geschlechterspezifischen Bedarfen depressiver Männer und Konsequenzen für die Behandlung im stationären Setting sind ein wichtiger Schritt für die Entwicklung angemessener Versorgungsangebote.

Methode:

Problemzentrierte Interviews mit 33 psychiatrischen Fachkräften zu folgenden Themen: Krankheitstheorien, Wahrnehmung depressiver Männer im Krankheits- Behandlungsverlauf, Behandlungsbedarfe und Erwartungen, Rolle sozialer Netzwerke, Ziele und Methoden in der Behandlung betroffener Männer. Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch.

Ergebnisse:

Fachkräfte orientieren sich in ihren Krankheitstheorien zu Depressionen bei Männern an soziologischen und psychologischen Theorien (Sozialisation, normative Erwartungshaltungen). In den Beschreibungen depressiver männlicher Patienten folgen sie einer binären Zuordnung in „typische“ männliche Patienten einerseits sowie von Idealen traditioneller Männlichkeit „abweichende“ Männer andererseits. Die Beschreibungen „typischer Männer“ beinhaltet verspätete Hilfesuche (nach Suizidgedanken/Suizidversuch), hohe Erwartungen an Dauer und Erfolg psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlungen und einen erhöhten Bedarf an Psychoedukation. Davon abweichende Männer werden in Bezug auf Lebensstil, Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft als gegensätzlich zu „typisch“ männlichen Patienten und eher in Anlehnung an feminine Charaktereigenschaften beschrieben.

Diskussion:

Die Ergebnisse deuten auf stereotype Vorstellungen von Männlichkeit in Bezug auf Depressionen.

Ein eindimensionales Verständnis von Männlichkeit, welches auf nachteilige Auswirkungen traditioneller Männlichkeit auf das allgemeine Gesundheitsverhalten und die psychische Gesundheit von Männern fokussiert, übersieht traditionelle Männlichkeit als Ressource im Sinne einer protektiven und unterstützenden Funktion im Bewältigungsprozess von Depressionen.