Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2019; 47(04): 269
DOI: 10.1055/s-0039-1692758
Was kann moderne Tierzucht leisten?
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Genetisch maßgeschneiderte Schweine für die biomedizinische Forschung

E Wolf
1   Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. August 2019 (online)

 

Die Erforschung von Krankheitsmechanismen ist die entscheidende Grundlage für die Entwicklung neuer, zielgerichteter Therapieansätze. Der Weg von der krankheitsorientierten Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung am Patienten (= translationale Medizin) ist jedoch meist langwierig und kostenintensiv. Geeignete Tiermodelle, die Vorhersagen über die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Therapiestrategien erlauben, sind in diesem Prozess unverzichtbar. Bislang werden dafür meist Nagermodelle verwendet, die jedoch humane Krankheitsmechanismen bzw. -phänotypen oft nicht gut genug abbilden, um Befunde aus präklinischen Studien auf den Menschen extrapolieren zu können. Daher werden als Ergänzung Großtiermodelle benötigt, die dem Menschen in anatomischen und physiologischen Merkmalen oft ähnlicher sind.

Aus verschiedenen Gründen bietet sich vor allem das Schwein als translationales Tiermodell an. Aufgrund der Entwicklung von Technologien für die gezielte genetische Modifikation von Schweinen ist es heute möglich, humane Krankheitsmechanismen auf molekularer und funktionaler Ebene präzise in dieser Spezies zu rekapitulieren. Nach diesem Konzept haben wir verschiedene Schweinemodelle für die translationale Diabetesforschung etabliert (Übersicht in Kleinert et al., Nat Rev Endocrinol 2018; 14: 140–162).

Transgene Schweine, die einen dominant-negativen Rezeptor für das Inkretinhormon GIP (Glukose-abhängiges insulinotropes Polypeptid) in den pankreatischen Betazellen exprimieren, zeigen einen verminderten Inkretineffekt, eine reduzierte Glukosetoleranz und Insulinsekretion sowie eine progressive Reduktion der Betazell-Masse (Renner et al., Diabetes 2010; 59: 1228–1238). Dieses Modell wurde u.a. für die Suche nach Biomarkern für die Progression in der prädiabetischen Phase (Renner et al., Diabetes 2012; 61: 2166–2175) sowie für die Testung der Wirksamkeit und des Nebenwirkungsprofils von GLP1-Rezeptor-Agonisten (GLP1 = Glukagon-ähnliches Peptid 1) verwendet (Streckel et al., J Transl Med 2015; 25: 13).

INSC94Y-transgene Schweine, die das mutierte Insulin C94Y exprimieren, sind ein Modell für permanenten neonatalen Diabetes mellitus (PNDM), der initial durch eine Störung der Insulinsekretion und in späteren Stadien zusätzlich durch eine Reduktion der Betazell-Masse zustande kommt (Renner et al., Diabetes 2013; 62: 1505–1511). Dieses klinisch diabetische Großtiermodell eignet sich für eine Vielzahl von Fragestellungen, wie die Austestung von neuartigen Therapien, z.B. neue Insulinformulierungen, kontinuierliche Glukosemonitoring-Systeme, Insulinpumpen und Ansätze zur Etablierung eines bioartifiziellen Pankreas, oder die Evaluierung früher Stadien diabetischer Sekundärläsionen in Niere, Auge und Mikrozirkulation. Bereits im Alter von 5 Monaten war bei den diabetischen Tieren eine im Vergleich zu Kontrolltieren verminderte Kapillarisierung des Herzmuskelgewebes festzustellen, die zu einer Minderdurchblutung des Herzmuskels führen kann. Des Weiteren ließ sich bei 5 Monate alten diabetischen Schweinen nach experimenteller Induktion einer ischämischen Läsion eine vermehrte Fibrose des Myokards feststellen. Eine lokale Thymosin-Beta-4-Gentherapie, die einen neuartigen Therapieansatz für ischämische Folgeläsionen des Myokards darstellt, wies bei den diabetischen Schweinen einen geringeren protektiven Effekt auf als bei Kontrollschweinen (Hinkel et al., J Am Coll Cardiol 2017; 69: 131–143). Um die Auswirkungen einer Insulininsuffizienz und chronischen Hyperglykämie auf verschiedene Organe und Gewebe untersuchen zu können, haben wir von diabetischen Schweinen und nicht transgenen Geschwistertieren im Alter von 2 Jahren eine komplexe Biobank mit über 50 verschiedenen Geweben und Körperflüssigkeiten etabliert (Blutke et al., Mol Metab 2017; 6: 931–940). Untersuchungen der Netzhaut von diabetischen Schweinen ergaben Veränderungen, die Ähnlichkeiten zur diabetischen Retinopathie des Menschen aufweisen (Kleinwort et al., Diabetologia 2017; 60, 1541–1549).

Neben der genetischen Modifikation zur Induktion (prä)diabetischer Veränderungen bietet sich das Schwein auch als exzellentes Tiermodell für diätinduzierte Adipositas an (Renner et al., Mol Metab 2018; 16: 180–190). Darüber hinaus kommen genetisch modifizierte Schweine als Spender von Zellen, Geweben oder sogar kompletten Orangen für die Xenotransplantation infrage. Im Rahmen des DFG-geförderten Transregio-Sonderforschungsbereiche 127 „Biologie der xenogenen Zell-, Gewebe- und Organtransplantation – von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung“ generieren wir genetisch modifizierte Schweine, deren Gewebe bzw. Organe nach Transplantation in Primaten vor Abstoßungsreaktionen geschützt sind und langfristig funktionieren können. Neonatale Pankreasinseln von transgenen Schweinen, die LEA29Y – ein synthetisches Protein, das die Kostimulation von T-Zellen blockiert – in den Betazellen exprimieren, wurden nach Transplantation unter die Nierenkapsel von diabetischen Mäusen mit einem humanisierten Immunsystem nicht abgestoßen (Klymiuk et al., Diabetes 2012; 61: 1527–1532) und waren in der Lage, die Blutzuckerspiegel der Empfänger langfristig zu normalisieren (Wolf-van Buerck et al., Sci Rep 2017; 7: 3572). Paviane, denen Herzen von dreifach genetisch modifizierten Spenderschweinen (Inaktivierung des α1,3-Galaktosyltransferase-Gens, transgene Expression von humanem Komplementregulator CD46 sowie humanem Thrombomodulin) orthotop transplantiert wurden (= Herzersatz), überlebten wiederholbar über 6 Monate, was einen Meilenstein auf dem Weg zur klinischen Entwicklung der xenogenen Herztransplantation darstellt (Längin et al., Nature 2018; 564: 430–433).

Die Entwicklung, Charakterisierung und Implementierung genetisch modifizierter Schweine für die medizinische Forschung ist ein hochattraktives neues Arbeitsgebiet für die Tiermedizin und Tierzucht.