Die Psychiatrie 2009; 06(02): 89-93
DOI: 10.1055/s-0038-1671942
Diagnostischtherapeutisches Seminar
Schattauer GmbH

Ethische Fragen bei der Integration von Standard- und Alternativverfahren in der psychiatrischen Therapie[*]

Ethical questions in integrating standard and alternative therapies in psychiatry
H. Helmchen
1   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
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Publication Date:
19 September 2018 (online)

Zusammenfassung

Die zunehmende Bedeutung evidenzbasierter Behandlungen und Standardisierung ihrer Anwendung ebenso wie wachsende finanzielle Begrenzungen verengen den Blick des Therapeuten und lassen die individuellen Besonderheiten und Bedürfnisse des Patienten außer Betracht. Infolgedessen suchen Patienten ihre subjektiven Bedürfnisse auf alternativen Wegen wie Selbstmedikation, Verfahren unbekannter Qualität, oder Konsultation von nichtärztlichen Behandlern zu befriedigen. Dadurch stellen sich auch dem Psychiater ethische Fragen, die unter Bezug auf die wichtigsten ethischen Prinzipien diskutiert werden: 1. Respektierung der Würde und Selbstbestimmung des Patienten heißt, ihn ernst zu nehmen. Wo jedoch liegen die Grenzen dabei, die Sichtweise des Patienten einzunehmen, wenn sein Wille mit seinem Wohl in Konflikt gerät, besonders in Fällen, in denen der Patient womöglich der Fähigkeit ermangelt, kompetent über therapeutische Alternativen zu entscheiden? 2. Vermeidung von Schaden soll den Patienten von ungeprüften Verfahren mit unbekannten Nebenwirkungen und Risiken abhalten sowie verhindern, dass eine wirksame Behandlung versäumt wird. Wie jedoch soll der Psychiater den Patienten von den Vorteilen des empfohlenen qualitätsgeprüften Verfahrens überzeugen, ohne ihn aus dem medizinischen Versorgungssystem hinaus und in unqualifizierte und ungeprüfte Verfahren hinein zu treiben? 3. Im Hinblick auf Gerechtigkeit erscheint es klar, dass Verfahren ungeprüfter Qualität von Krankenkassen nicht bezahlt werden sollten. Ist das jedoch auch noch akzeptabel, wenn keine effizienten Verfahren verfügbar sind, ein vom Patienten gewünschtes alternatives Verfahren jedoch seine Lebensqualität verbessern könnte?

Summary

Increasing predominance of evidence-based therapies and standardisation of their clinical application as well as financial limitations narrow the therapists view and leaving out of account the patients` individual specificities and demands. Consequently patients try to get their subjective needs met by alternative approaches, such as self-medication, procedures of unknown quality, or consultation of healers outside the medical professions. According to the prevailing ethical principles the following ethical questions will be discussed: 1. Respect of the patients` dignity and autonomy means to take him/her seriously. However, what are the limits of taking the view of the patient, particularly in cases of a discrepancy between the patients will and his welfare? 2. Harm avoidance should keep away from the patient unproven approaches with both the risks of unknown unwanted effects and of omission of an efficient treatment. But how to convince the patient of the advantages of the proposed quality proven approach without chasing him away out of medical services to unqualified and uncontrolled approaches?

* Nach dem Presidential Symposium „Ethical questions in integrated approaches“. AEP-Congress, 4. April 2008, Nizza, Frankreich