Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e49
DOI: 10.1055/s-0038-1668005
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Soziale Milieus und Gesundheitslebensstile – Empirische Untersuchung zur Ätiologie sozialer Ungleichheiten im Gesundheitsverhalten

D Röding
1   Medizinische Hochschule Hannover, OE 5410, Hannover, Deutschland
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Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Einleitung:

Obgleich eine Fülle von Studien vorliegt, die sozialstatusspezifische Unterschiede in einzelnen Gesundheitsverhaltensweisen beschreibt, ist bislang noch wenig zu den diesbezüglichen Ursachen geforscht worden. Einen theoretischen Rahmen hierzu bietet das Konzept der Gesundheitslebensstile. Der Beitrag geht unter Bezug auf die Bourdieusche Habitustheorie der Frage nach, inwiefern sich Gesundheitslebensstile als Folge symbolischer Auseinandersetzungen erklären lassen [1].

Material & Methoden:

Datenbasis ist eine 2004/08 durchgeführte Befragung (n = 1.246) in nordostdeutschen Landgemeinden. Mittels einer latenten Klassenanalyse wurden Gesundheitslebensstile klassifiziert und untersucht, inwiefern diese mit Milieuzugehörigkeiten korrespondieren.

Ergebnisse:

Zwei Drittel der Befragten sind als Gesundheitspragmatiker (GP) klassifiziert worden, 3% als roborantienorientierte Interventionisten (RI), 1% als gemäßigte Interventionisten (GI), 16% als sportorientierte Interventionisten (SI), 8% als jugendkulturelle Gesundheitsnihilisten (JGN) und weitere 8% als persistente Gesundheitsnihilisten (PGN). Das Besitzbürgertum ist positiv mit GI, RI und PGN assoziiert sowie negativ mit PGN und JGN. Das Bildungsbürgertum und die praktische Intelligenz sind positiv mit SI und PGN assoziiert und negativ mit GP. Demgegenüber sind das ständisch-kleinbürgerliche und das unterprivilegierte Volksmilieu positiv mit GP assoziiert und negativ mit SI und PGN. Grosso modo zeichnen die gefundenen Homologien (Raum der sozialen Positionen und Raum der Lebensstile) ein Bild, wonach soziale Milieus ihre Gesundheitslebensstile so ausbilden, dass sie ihre Abgrenzungs- und Überhebungsbedarfe befriedigen.

Diskussion:

Vor dem Hintergrund, dass sich die im Feld Prävention und Gesundheitsförderung (PGF) tätigen Berufsgruppen vorrangig aus der praktischen Intelligenz rekrutieren, werfen die genannten Ergebnisse die Frage auf, ob die berufliche Praxis in diesem Feld womöglich mehr vom Interesse an Distinktionsgewinnen und kultureller Hegemonie bestimmt sein könnte als vom Interesse an der Gesundheit anderer Bevölkerungsgruppen. Nach Bourdieus Praxistheorie [2] ist davon auszugehen, dass die „Logik der Praxis“ eine vergessene ist und die Praxis den Akteuren verbietet, ihre Logik zu explizieren. Dieses Problem kann nur über selbstkritische Reflexionen gelöst werden.

Schlussfolgerung:

In der beruflichen und akademischen PGF-Ausbildung sollte künftig die kritische Reflexion der Logik der Praxis dieses Feldes curricular verankert werden.

Literatur:

1 Behrens 2009 Meso-soziologische Ansätze und die Bedeutung gesundheitlicher Unterschiede für ... In Richter/Hurrelmann: Gesundheitliche Ungleichheit. VS, Wiesbaden, 55 – 76

2 Bourdieu 1987 Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Suhrkamp