Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e39
DOI: 10.1055/s-0038-1667976
SYMPOSIEN
Diagnostik
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostik der Schmerzintensität, basierend auf multimodalen Signalen und maschinellem Lernen

S Walter
1   Universitätsklinikum Ulm, Sektion Medizinische Psychologie, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Ulm, Deutschland
,
S Gruss
1   Universitätsklinikum Ulm, Sektion Medizinische Psychologie, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Ulm, Deutschland
,
L Bretzke
1   Universitätsklinikum Ulm, Sektion Medizinische Psychologie, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Ulm, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Einleitung:

Die objektive, reliable und valide Diagnose von Schmerzen ist bisher ungelöst, explizit bei Menschen mit verbalen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen bzw. bei Menschen, die sediert und maschinell beatmet werden. Ein weiteres Problem ist, dass bestehende Beobachtungsverfahren zeitaufwendig sind und somit eine begrenzte Durchführbarkeit hinsichtlich des zeitlichen Intervalls der Schmerzdiagnostik aufweisen.

Die vorgestellten Studien haben das Ziel, die Schmerzintensität, basierend auf multimodalen Messungen, von Biopotenzialen des autonomes Nervensystems, der mimischen Motorik und prosodischen Signalen mit differenzierten Klassifikationsalgorithmen des maschinellen Lernens zu erkennen und daraus abzuleiten, welche Algorithmen die höchsten Erkennungsraten zur Differenzierung der Schmerzintensität generiert.

Material & Methoden:

90 Versuchspersonen wurden mit einer Thermode mit Hitze stimuliert. Dazu wurde für jede Versuchsperson individuell die Schmerz- und Toleranzschwelle kalibriert. Die Hitzestimulierung erfolgte jeweils 4 Sekunden lang mit randomisiertem Abstand von 8 – 12 Sekunden. Es wurden Biopotenziale und videobasierte Mimiksignale erfasst. Mit komplexen Verfahren des maschinellen Lernens wurden Erkennungsraten der Schmerzstufen berechnet und statistisch auf Verschiedenheit in Abhängigkeit von der Klassifikationsarchitektur überprüft. Des Weiteren wurde automatisiert selektiert, welche Relevanz differenzierte Signalmerkmale für die Erkennung der Schmerzintensität haben.

Ergebnisse:

Es konnte aufgezeigt werden, dass die Erkennungsraten, die aus multimodalen Fusionen hervorgehen, in 70% aller Einzeltests signifikant größer waren im Vergleich zu unimodalen Erkennungsraten.

Deskriptiv wurde gezeigt, dass Merkmale aus elektrodermaler Aktivität und mimischer Expression die höchste Performanz darstellen. Die Erkennungsraten, die aus der Elektromyografie und videobasierten Signalen hervorgehen, korrelieren hochsignifikant miteinander.

Diskussion & Schlussfolgerung:

Die Ergebnisse stehen in Einklang mit den Befunden von nicht automatisierten Beobachtungsinstrumenten zur Erkennung von Schmerzen bei Patienten mit Einschränkung der verbalen kognitiven Funktionen oder Wachheit. Obwohl das Hauptaugenmerk einer automatisierten Schmerzintensitätserkennung der Zielgruppe von Menschen mit eingeschränkten kommunikativen Möglichkeiten gilt, ist diese auch bei kommunikativ nicht eingeschränkten Patienten von Relevanz, damit mit Analgesie adaptiv auf die Schmerzintensität reagiert werden kann, um eine Über- bzw. Unterversorgung zu vermeiden. Damit verbunden ist das Ziel, letztendlich das maschinelle Lernen zur Erkennung von Schmerzen in einem klinischen Setting zu überprüfen.