Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(06): A65-A66
DOI: 10.1055/s-0038-1660657
Postersession: Samstag, 9. Juni 2018: 10.30 – 11.30 Uhr, Foyer
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Subjektive Erfahrung der Geburt von Müttern in West- und Ost-Berlin von 1950 – 1990 und 1990 – 2010: Analyse einer retrospektiven Umfrage

F Rupp
1   Clara Angela Foundation, Berlin
,
O Hars
1   Clara Angela Foundation, Berlin
,
B Arabin
2   Philipps University Marburg
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
06 June 2018 (online)

 

Fragestellung:

Mauerfall und Wiedervereinigung ermöglichten den Zugang zu Müttern und Archiven beidseits der innerdeutschen früheren Grenze. Ziel dieser lang angelegten Studie war es herauszufinden: 1) wie die unterschiedlichen deutschen Gesundheitssysteme und politischen Strukturen die subjektive Erfahrung von Müttern unter der Geburt beeinflussten, und 2) wie lange dieser Einfluss auch nach der Wende bestehen blieb. Dabei sollten Erkenntnisse über die Nachhaltigkeit verschiedener Versorgungsstrukturen in der Perinatalmedizin gewonnen werden.

Methodik:

1990 wurden 562 Frauen aus 11 Ost-Berliner und 730 Frauen aus 12 West-Berliner Bezirken befragt, die ihr 1. Kind zwischen 1950 und 1990 geboren hatten. Die Fragen bezogen sich auf sozioökonomische Variablen sowie subjektive Erfahrungen vor, während und nach der Geburt. Die Daten wurden archiviert. 2015 wurden anhand desselben Fragebogens wieder Frauen aus allen Berlin Bezirken interviewt, die ihr 1. Kind zwischen 1990 und 2010 geboren hatten. Die Ergebnisse wurden mit Zeitanalysen, uni- und multivariaten Analysen analysiert.

Ergebnis:

2056 Datensätze wurden ausgewertet. „Angst vor der Geburt“ nahm nach der Wende signifikant zu (p ≤0,001). Ärztliche Informationen erhöhten die Angst und reduzierten die Chance für ein schönes Geburtserlebnis um 52%. Unter der Geburt fühlten sich 36,2% im Westen, aber nur 12,9% im Osten durch Familie und Freunde unterstützt. 33% der Mütter in Osten, aber nur 21% im Westen erfuhren den technischen Fortschritt als Hilfe. Bei einer multiplen logistischen Regression beeinflussten das Alter, Jahr der Entbindung, die Qualität von Hebamme und Geburtsmediziner, Angstfreiheit und eine Geburt am Termin in beiden Stadtteilen das Geburtserlebnis positiv. Westliche Mütter erfuhren die Geburt häufiger als „Stress“ (p < 0,001). Systemunabhängig führte eine Übertragung zu einem angstbeladenen Geburtserlebnis (p = 0,02). Nach 1990 kam es zu einem hochsignifikanten Anstieg (p < 0,001) des Alters der Ostberlinerinnen bei Geburt des ersten Kindes, noch immer steigt das Alter Erstgebärender in ganz Berlin. Die Ergebnisse nach 1990 zeigen eine „Aufweichung“ der Ost-West-Unterschiede.

Schlussfolgerungen:

Eine staatlich gelenkte Politik scheint keine negativen Auswirkungen auf das Geburtserlebnis, sondern eher zu einer Stressreduktion geführt zu haben. Die Angst vor der Geburt nimmt trotz medizinischem Fortschritt zu. Systemunabhängige Faktoren müssen in ihrer Bedeutung offen diskutiert werden.