Gesundheitswesen 2018; 80(04): 416-417
DOI: 10.1055/s-0038-1639293
POSTERAUSSTELLUNG
Infektionsschutz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gesundheitsversorgung von undokumentierten Migrantinnen und Migranten (UDM) in Niedersachsen, 2016 – 2017

M Mylius
1   Robert Koch-Institut/NLGA Infektionsepidemiologie, Berlin, Germany
,
C Zühlke
2   Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (NLGA) Infektionsepidemiologie, Hannover, Germany
,
N Gütt
3   Anlauf- und Vergabestelle für die Gesundheitsversorgung von papierlosen Menschen, Hannover Vergabestelle für die Gesundheitsversorgung von papierlosen Menschen, Hannover, Germany
,
J Dreesman
2   Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (NLGA) Infektionsepidemiologie, Hannover, Germany
,
E Mertens
2   Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (NLGA) Infektionsepidemiologie, Hannover, Germany
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Publication History

Publication Date:
11 April 2018 (online)

 

Hintergrund:

Im Jahr 2015 wanderten mehr als 4,5 Millionen Menschen in ein Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) ein. Eine unbekannte Anzahl von MigrantInnen leben ohne Papiere in der EU, sind nicht (mehr) behördlich registriert und damit meist von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Seit 2016 wird als Modellprojekt des Landes Niedersachsen in Hannover und Göttingen in Vergabestellen ärztlich beraten. Bei Bedarf werden Behandlungsscheine für eine gesundheitliche Versorgung von akuten Erkrankungen, Schmerzuständen, Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen ausgegeben.

Methode:

Wir beschreiben für die ersten 1,5 Jahre seit Projektstart (01.02.2016–31.07.2017) die Anzahl der Besuche und Beratungsanlässe sowie demographische Merkmale der Betroffenen, die in den Vergabestellen dokumentiert werden. Zudem beschreiben wir die Erkrankungsgruppen und Vorsorgeleistungen, die nach der WHO International Statistical Classification of Diseases (ICD-10) erbracht wurden. Ziel ist die Identifikation besonderer Bedarfe in der Gesundheitsversorgung.

Ergebnisse:

Es erhielten 162 Personen 417 Behandlungsscheine für eine ärztliche Versorgung. Im Mittel wurden 22 Scheine pro Monat ausgegeben (Spannweite: 1-54/Monat). Der Altersmedian lag bei 31 Jahren (Spannweite: vier Monate bis 86 Jahre), 27/162 (17%) waren <18 Jahre und 88/162 (54%) weiblich. Von den Frauen kam fast die Hälfte aufgrund einer Schwangerschaft (n=38). Die meisten Ratsuchenden kamen aus Zentralafrika (35%), europäischen Ländern außerhalb der EU (29%), und Nordafrika (10%). Der häufigste Anlass zur Scheinausgabe waren akute Erkrankungen (240/417) wie Zahnschmerzen (20%), Schmerzen in verschiedenen Organsystemen (22%) und Infekte der oberen Atemwege (9%). 90/417 (22%) Scheine wurden für Vorsorgeuntersuchungen ausgestellt, v.a. für Schwangere (n=73), bei 10/417 (2,5%) wurden Impfungen abgerechnet. Übertragbare Infektionskrankheiten der ICD-10 Diagnosen A00-B99 wurden bei 16 Personen diagnostiziert, sieben davon aufgrund von HIV oder Hepatitis B.

Schlussfolgerungen:

Über ein Drittel der Ratsuchenden gehörte zu besonders vulnerablen Gruppen (Kinder, Schwangere). Nur wenige Scheine wurden für Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen außerhalb von Schwangerschaft ausgestellt. Bei einigen Personen wurden chronische Erkrankungen wie HIV oder Hep. B diagnostiziert, deren Behandlung nicht gesichert ist. Wir empfehlen weitere Untersuchungen über Ursachen der geringen Inanspruchnahme von Präventionsangeboten. Wir empfehlen die Fortführung und Ausweitung niederschwelliger Zugänge zu einer Gesundheitsversorgung für schwer erreichbare Bevölkerungs-Gruppen, um Vertrauen aufzubauen sowie Präventionsangebote und Behandlungen angemessen zu ermöglichen.