Zusammenfassung
Der Reaktorunfall von Tschernobyl führte zu großflächigen radioaktiven Kontaminationen, die anfänglich durch 131 J, später durch 137 Cs dominiert wurden; 90 Sr spielt nur eine sekundäre Rolle. Mehr als 200000 Menschen wurden evakuiert. In den engeren Kontrollgebieten mit einer Cs- Kontamination >5 × 105 Bq/m2 leben noch etwa 270000 Menschen. Zumindest ein Teil dieser Menschen wird aus radiologischen Gründen noch zu evakuieren sein. In weiten Gebieten geringerer Kontamination wäre normales Leben mit nur geringen Einschränkungen möglich, wenn nicht die behördliche Informationssperre in den Jahren nach dem Unfall zu einem solchen Grad von Mißtrauen, Unsicherheit und Verängstigung unter der Bevölkerung geführt hätte, daß ein objektives Bild der Strahlenexposition und der damit verbundenen Risiken nicht mehr zu vermitteln ist. Die mangelhaften Gesundheitsstatistiken haben es bisher nicht erlaubt, die an sich zu erwartende Erhöhung kindlicher Leukämien in den am höchsten belasteten Regionen nachzuweisen. Für andere Tumorerkrankungen sind die zu erwartenden relativen Erhöhungen der Inzidenzen weit geringer; sie dürften daher selbst durch aufwendige statistische Analysen nur schwer oder überhaupt nicht nachweisbar sein. Schilddrüsenkarzinome könnten allerdings eine Ausnahme bilden. Im Gegensatz zu den Tumorerkrankungen kam es gerade bei den nicht mit Strahlenexpositionen assoziierten allgemeinen Erkrankungen wie Anämie, Diabetes usw. zu deutlichen Erhöhungen. Diese Erhöhungen sind durch die gravierenden Einschränkungen der Lebensbedingungen, durch die entstandenen Ängste und die Krankheitserwartungen verständlich, sie werden jedoch von der Bevölkerung und auch von einem Großteil der Ärzte den Strahlenexpositionen zugeschrieben. Neben der in der Sowjetunion ganz allgemein notwendigen Verbesserung der medizinischen Versorgung ist als Hilfsmaßnahme vor allem eine verbesserte Information der Bevölkerung nötig, ferner die Versorgung mit geeigneten Geigerzählern und auch mit einfachen Geräten zur Bestimmung der Cs-Kontamination in Nahrungsmitteln. Darüber hinaus ist es nötig, der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten die Möglichkeit regelmäßiger Ganzkörpermessungen zu geben.
The reactor accident at Chernobyl led to substantial radioactive contamination, which was initially dominated by 131 1 and later by 137 Cs.90 Sr was substantially less important. More than 200000 people were evacuated. There are still 270000 inhabitants of areas with Cs contaminations of more than 5 × 105 Bq/m2 . At least some of these will still have to be evacuated for radiological reasons. In large regions of smaller contamination normal life with few restrictions would be possible, if it were not for the poor information policy of the authorities which has caused a degree of suspicion, fear and insecurity that makes it now almost impossible to reach an objective perception of the exposures and the associated risks. The deficient health statistics have, up to now, not permitted any conclusions regarding increases of childhood leukemias which are expected in the regions with the highest contamination. For other cancers one expects lower relative increases but it is unlikely that they would be detected even in thorough statistical studies. Thyroid cancers are a possible exception. In contrast, significant increases of illnesses such as anemia or diabetes which are not normally associated with radiation, have been noted. They are due to the grave constraints in living conditions, to the fears and to the increased attention to illnesses which were formally not registered in any health statistics. They are now seen by the population and also by most physicians as radiation-induced. Apart from improvement in medical care which are necessary everywhere in the USSR, there is a need for Geiger counters and for simple instruments to determine Cs in food. It will, furthermore, be necessary to offer the population in the affected regions a continuing service of whole-body measurements.