Z Gastroenterol 2017; 55(05): e1-e27
DOI: 10.1055/s-0037-1603049
Kategorie „Klinische Forschung“
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verkapselung von anthocyanreichen Heidelbeerextrakt moduliert die Bioverfügbarkeit und die Bioaktivität – eine in vivo Studie

D Müller
1   TU Kaiserslautern, Lebensmittelchemie und Toxikologie
,
D Rogoll
2   Universitätsklinikum Würzburg, Med. Klinik und Poilklinik II, Gastroenterologie
,
R Melcher
2   Universitätsklinikum Würzburg, Med. Klinik und Poilklinik II, Gastroenterologie
,
U Kulozik
3   TU München, Lebensmittelchemie und Ernährungswissenschaften
,
K Schwarz
4   Universität Kiel, Lebensmittelchemie und Ernährungswissenschaften
,
E Richling
1   TU Kaiserslautern, Lebensmittelchemie und Toxikologie
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. Mai 2017 (online)

 

Hintergrund:

In der Bevölkerung steigt mit zunehmendem Alter die Inzidenz chronischer Erkrankungen. Eine häufig diskutierte Ursache chronischer Erkrankungen ist oxidativer Stress. Dieser entsteht im Körper, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen der Bildung und Inaktivierung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) kommt. Diesem Ungleichgewicht können endogene Faktoren (körpereigenes Glutathion/exogene Antioxidantien (z.B. Anthocyane)) entgegen wirken. Epidemiologische Daten zeigen, dass eine „gesunde Ernährung“ mit einem hohen Anthocyan-Anteil präventive Eigenschaften zeigt. Beerenfrüchte (Wildheidelbeeren) stellen eine wichtige Quelle an Anthocyanen dar. Vor allem antioxidative und anti-inflammatorische Eigenschaften von Anthocyanen werden derzeit diskutiert. Der Nachteil von Anthocyanen im Vergleich zu anderen Polyphenolen resultiert allerdings aus deren geringen Bioverfügbarkeit, aufgrund ihrer hohen Instabilität.

Daraus begründete sich in der Vergangenheit unter anderem das Forschungsziel, Anthocyane aus Heidelbeerextrakt (HBE) mithilfe verschiedener Verkapselungstechniken während der Darmpassage zu stabilisieren und gezielt am Wirkort freizusetzen. Diese und weitere Fragestellungen, wie z.B. in welchem Ausmaß Anthocyane aus anthocyanreichen Heidelbeer-Extrakten die Bioaktivität beeinflussen können, sollen mittels einer Interventionsstudie beantwortet werden.

Methoden/Studiendesign:

Die Studie wurde zum einen mit Ileostomieprobanden (A), die einen künstlichen Dünndarmausgang besitzen (ohne Kolon) und zum anderen analog mit Kontrollprobanden (B) mit intaktem Kolon durchgeführt. Beide Gruppen (je 5 Probanden) sollen den unverkapselten, sowie den verkapselten Heidelbeerextrakt (HBE) (Verkapselung auf Molke- bzw. Citruspektin-Basis) verzehren. Der HBE weist einen Anthocyangehalt von 24% auf.

Nach der Aufnahme von 2,4 g Anthocyanen wurden an den jeweiligen Studientagen Blut- und Urinproben über den Zeitraum 8h bzw. 24h der Gruppen A+B gesammelt, um eine Gesamtbilanzierung (Bioverfügbarkeit) und Ausscheidungskinetik zu ermitteln. Die Ileostomaausflüsse der Probanden (A) wurden nach Gabe des jeweiligen Präparates über einen Zeitraum von 8h erfasst.

Ergebnisse/Ausblick:

Die effektivsten Verkapselungstechniken basierten auf Molkenprotein- und Pektinbasis (mit Schellack-Coating). In-vitro konnte durch die Verkapselung eine vermehrte Anthocyankonzentration im Vergleich zum unverkapselten Extrakt im Dünndarm-Milieu (simuliert) erreicht werden. Außerdem zeigte sich in vitro keine Reduktion auf der Ebene der biologischen Aktivität (ROS, DNA-Strangbrüche, GSH) durch die Verkapselung.

Welchen Einfluss die Verkapselung des HBE auf die Bioverfügbarkeit und biologische Aktivität der Anthocyane im Menschen (in vivo) zeigt, wurde untersucht.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Verkapselung von Anthocyanen deren Bioverfügbarkeit im Vergleich zu unverkapselten Anthocyanen modulieren kann, wobei die Bioverfügbarkeit der Anthocyane im Allgemeinen während dieser Studie sehr gering war. Durch Molkenproteinverkapselung konnte die Bioverfügbarkeit der Anthocyane am stärksten erhöht werden und durch Citruspektinverkapselung konnten vermehrt Anthocyane in den Kolon gelangen.

Als zentraler Befund auf der biologischen Ebene war zu beobachten, dass in den gesunden Probanden (B) bereits 2h nach HBE-Verzehr eine tendenzielle Abnahme der direkten und oxidativen DNA-Schäden (Comet-Assay) auftrat. Die beobachteten biologischen Wirkungen (Modulation von DNA-Strangbrüchen und Nrf2-regulierter Gene) nach HBE-Verzehr (verkapselt und unverkapselt) konnte allerdings nicht alleine auf die „intakten Anthocyane“ zurückgeführt werden. Im Gegenteil, resultierende Anthocyan-Abbauprodukte, die im Darm gebildet werden, und um ein Vielfaches im Urin zu finden sind, stellen vermutlich die eigentlichen strukturellen Wirkkomponenten der Anthocyane dar.