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DOI: 10.1055/s-0037-1601905
Die staatlichen Gesundheitsämter und ihre Zuarbeit zur „Euthanasie“
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
02. Mai 2017 (online)
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) entstand 1935 als ein den damaligen Machthabern im Rahmen ihrer menschenverachtenden Biopolitik dienstbares Vollzugsorgan. Das Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 normierte als Gründungsauftrag diesen ÖGD. Damit wurde im Dritten Reich die Tradition sozialmedizinischer Prinzipien und einer am Wohl des Einzelnen und insbesondere benachteiligter Bevölkerungsgruppen orientierten Gesundheitsfürsorge und -vorsorge nachhaltig vernichtet. So stand das Gesundheitsamt als Ermittlungs- und Vollzugsbehörde ordnungspolitisch auch im Zentrum des Vollzugs zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das ab 1934 Zwangssterilisierungen legitimierte, mit der verheerenden Konsequenz von ca. 400.000 verstümmelten Menschen. Amtsärzte entschieden außerdem über den „Erbwert“ der Menschen, wenn es um finanzielle Förderung in Form von „Ehestandsdarlehen“, „Ausbildungsbeihilfen“ oder Hilfen für kinderreiche Familien ging. Wer laut Amtsarzt „minderwertige“ Erbanlagen hatte oder „asozial“ war, wurde davon ausgeschlossen. Er verhinderte auch, dass „Erbkranke“ sich verheirateten. Zudem leisteten die Gesundheitsämter ab Ende 1939 administrative Zuarbeit bei der Abwicklung der „Kindereuthanasie“. Sie vollzogen die streng geheime „Meldepflicht missgestalteter usw. Neugeborener“, versandten die entsprechenden Meldebögen an die Tarnorganisation für den Krankenmord, den „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ nach Berlin und hatten zudem die Aufgabe, widerspenstige Eltern zur Einweisung ihrer „auffälligen“ Kinder in eine der extra dafür gegründeten Mordstationen („Kinderfachabteilung“) zu drängen. Vorgestellt werden die Schicksale eines 7-jährigen Mädchens und eines ebenso alten Jungens aus dem damaligen Landkreis Neuburg a.d. Donau, die vom Amtsarzt ins „Kinderhaus“ der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar bei München eingewiesen wurden. Das Mädchen wurde dort ermordet – ihr Gehirn landete in der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Der Junge überlebte die NS-Zeit, weil seine Eltern das Kind „entgegen ärztlichen Rat“ aus der Anstalt nahmen und es trotz mehrmaliger Aufforderung des „Reichsausschuß“ in Berlin nicht mehr dorthin zurück brachten.