Gesundheitswesen 2017; 79(04): 299-374
DOI: 10.1055/s-0037-1601898
2. Mai 2017
Workshop: „Grundlagen der angewandten Umweltmedizin“
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Neuroendokrinoimmunsystem. Ziel multipler chronischer Stressoren der Umwelt

K Müller
1   Kempten
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Publication Date:
02 May 2017 (online)

 

Der Mensch ist schon während seiner Entwicklung in der Embryonalperiode und dann bis zu seinem Tod komplexen physiologisch notwendigen und schädlichen Einflüssen aus der Umwelt ausgesetzt. Die einzelnen Gebiete, die sich mit Umwelteinflüssen beschäftigen, beziehen sich auf die begrenzte Aussagekraft der jeweils bevorzugten Methodik bzw. die Einwirkung in einem umschriebenen Lebenszeitraum und -umfeld. Erst die Klinische Umweltmedizin hat damit begonnen, die etablierten Methoden integrativ zu nutzen und die Interaktion der verschiedenen chemischen und physikalischen Einflüsse in allen Bereichen des alltäglichen Lebens, unter Berücksichtigung der Bedeutung von Nahrung, Genussmitteln, Drogen sowie von elektromagnetischen Feldern, radioaktiver Strahlung und von chronischen Infektionen, unter Beachtung der Komplexität und der individuellen Suszeptibilität, zu erfassen. Zudem wurde das Verständnis durch die Forschung zu den epigenetischen Effekten von Umweltfaktoren auf das Neuroendokrinoimmunsystem (NEIS) erweitert. Es war ein entscheidender Fortschritt, als durch diese Forschung deutlich wurde, dass epigenetische Effekte der Umwelteinflüsse nicht nur die Suszeptibilität der betroffenen Generation, sondern auch die der folgenden zwei bis drei Generationen verändern können.

Schließlich konnte gezeigt werden, dass nicht nur klassische allergische Reaktionen eine von der toxikologisch relevanten Dosis unabhängige Reaktion des Organismus auf Stoffe darstellen, sondern dass die durch verschiedene immunologische Mechanismen auslösbare chronische Entzündung klinische Beschwerden in Abhängigkeit von der exprimierten Art und der Menge an Zytokinen hervorruft. Es wurden durch Xenobiotika ausgelöste Reaktionen unabhängig vom Dosis-/Wirkungsprinzip beschrieben. Die Interaktion der chronischen Inflammation mit neurogenen Funktion ist vielfach dargestellt worden und ganz aktuell in einer Monografie zusammengefasst. Die Auswirkungen chronischer Inflammation auf den Energiehaushalt und der dadurch bedingte Verlust an Energie konnten quantifiziert werden. Der gleiche Autor zeigte, dass chronische Inflammation die Cortisolachse aktiviert und gleichzeitig die Sexualhormonproduktion herabreguliert. Die chronische Inflammation wird durch die Aktivierung der Stickoxid/Peroxinitrit Kaskade unterhalten, die NF-kB aktiviert und die Expression proinlammatorischer Zytokine auslöst. Die Erkennung der Auslöser der Mechanismen und die Expositionsvermeidung sind die entscheidenden therapeutischen Schritte vor allen anderen Behandlungsversuchen.