Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(02): 192-200
DOI: 10.1055/s-0036-1597723
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über einige therapeutische Irrwege in der Frauenheilkunde aus der medizinhistorischen Retrospektive

M David
1   Klinik für Gynäkologie, Charité, Campus Virchow-Klinikum, Berlin
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Publication Date:
06 March 2017 (online)

 

Während einige Innovation sich in der Medizin nur gegen Widerstände und langsam durchsetzen konnten (z.B. die Semmelweis'sche Lehre oder die Laparoskopie), wurden andere Behandlungsverfahren rasch eingeführt und relativ schnell breit eingesetzt (z.B. die Ovarektomie, die Hormonersatztherapie und die Röntgenbestrahlung). Manche Vorgehensweisen stellen sich allerdings in der historischen Rückschau als therapeutische Irrwege dar. Beispielhaft dafür sind die heute völlig verlassene Dysmenorrhoetherapie über die nasogenitale Reflexzone, die heute praktisch nicht mehr bekannte Röntgenbestrahlung von symptomatischen Myomen und die Aufrichtungsoperationen bei der physiologischen Retroflexio uteri. Diese drei Beispiele können (nach Skrabanek u. McCormick 1989) in der medizinhistorischen Rückschau drei „Irrtumskategorien“ zugeordnet werden:

  1. Nasogenitale Reflexzone: Trugschluss, dass ein Zusammenhang immer kausal ist;

  2. Myombestrahlung: Trugschluss von der Erfahrung und „Trugschluss des Ausrufers“ („Was ich dreimal sage, ist wahr.“ Carroll 1876);

  3. Retroflexio uteri: Anatomische Nicht-Krankheit bzw. Typ I-Fehler (keine Krankheit, aber eine Diagnose).

Auch bei Therapien, die lange Zeit akzeptiert sind und durch zahlreiche Behandlungserfolge untermauert zu sein scheinen, sollte immer wieder eine kritische Überprüfung erfolgen. Die Entscheidung darüber, ob ein diagnostisches Verfahren oder eine Therapiemaßnahme als erfolgversprechend und sinnvoll oder aber als Irrweg angesehen werden muss, ist allerdings meist nicht schon am Beginn einer Entwicklung möglich, sondern es sind letztlich stets abwägende, entwicklungsbegleitende kritische Evaluationen erforderlich. „...Jede Neuerung bietet nicht nur die Chance zu einem wirklichen Fortschritt, vielmehr stellt sie immer wieder eine Herausforderung dar an die Vernunft, das Augenmaß und das Verantwortungsbewusstsein... Die Physiologie und Psychologie des Wachstums (und des Fortschritts) schlechthin beinhaltet die Aufgabe jeder Neuerung ihren eigenen Stellenwert einzuräumen...“ (Horn 1993).