Gesundheitswesen 2016; 78 - A156
DOI: 10.1055/s-0036-1586666

Die verzögerte Einführung der Masernimpfung in der BRD (1965 – 1980)

J Jeuck 1
  • 1Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität Köln

Einleitung: Masern sind seit vielen Jahrhunderten als Krankheit bekannt und wurden seit dem späten Mittelalter als Epidemien wahrgenommen. Nach einer Maserninfektion kann es zur Entstehung verschiedener Komplikationen kommen, ohne dass kurative Behandlungen zur Verfügung stehen. Umso bedeutsamer war die Entwicklung eines Impfstoffes durch J.F. Enders und Kollegen zu Beginn der 1960er Jahre.

Ziel der Fragestellung: Wie wurde die nationale und internationale Einführung der Masernimpfung in den 1960ern in der westdeutschen Fach- und Laienpresse wahrgenommen? Wie verlief die Impfeinführung im Vergleich zu anderen Ländern (DDR, USA) und zur Einführung der Polio-Impfung? Wie ist sie im medizinischen Kontext einzuordnen?

Methoden: Recherche von Artikeln medizinischer Fachzeitschriften im Internet (z.B. medpilot), in der Laienpresse (z.B. FAZ, Der Spiegel) sowie in Fachbüchern; qualitative Inhaltsanalyse der auswählten Artikel.

Ergebnisse: In den USA und der DDR wurde die Impfung rasch eingeführt und mit großem Erfolg umgesetzt. In der BRD wurde gegen Masern geimpft, jedoch im erstenJahrzehnt in deutlich geringerem Umfang. Diese zurückhaltende Einführung der Masernimpfung in der BRD spiegelt sich in der medizinischen Fachpresse wie auch in der Laienpresse wider.

Diskussion: Aufgrund der vergleichenden Analyse ausgewählter Artikel kristallisieren sich einige Fakten heraus, die eine verzögerte Impfeinführung und deren mögliche Ursachen erkennen lassen. Unter anderem ein in der BRD nicht vorhandenes Melderegister für Masern, unzureichende Impfpropaganda, ein überforderter öffentlicher Gesundheitsdienst und die Unterschätzung der Masern in der Bevölkerung. Im historischen Kontext wird deutlich, dass bereits zu Zeiten des Nationalsozialismus und auch in den Nachkriegsjahren Impfungen und deren Umsetzung in der BRD nachrangig behandelt wurden. Positive Gegenbeispiele sind die Impfeinführung in den USA und der DDR sowie die Einführung der Polio-Impfung in der BRD.

Schlussfolgerung: Die Einführung der Masernimpfung in der BRD hinkt im Vergleich mit anderen Ländern ca. zehn Jahre hinterher. Um das Ziel der WHO – eine weltweite Masernelimination – zu erreichen, ist es notwendig gute Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Die Auseinandersetzung mit der historischen Impfeinführung und ihren Problemen offenbart einige typische Spannungsfelder. Die Analyse kann helfen, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und auch im heutigen Deutschland eine größtmögliche Impfquote zu erreichen.