Gesundheitswesen 2016; 78 - A153
DOI: 10.1055/s-0036-1586663

Anforderungen an eine kultur- und migrationssensible Pflege aus Sicht älterer türkeistämmiger Migrantinnen und Migranten. Ergebnisse einer qualitativen und einer quantitativen Befragung

L Schenk 1, PT Sonntag 1, V Krobisch 1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin

Hintergrund: Schätzungen legen einen zunehmenden Pflegebedarf seitens älterer Migrant/innen in Deutschland nahe (BMG 2011; Kohls 2011; Kohls 2012). Den größten Anteil der rund 1,5 Mio. älteren Menschen mit Migrationshintergrund machen hierbei ältere Türkeistämmige aus (Schimany, Rühl & Kohls 2012). Eine Aufgabe der pflegerischen Versorgung ist es, die spezifischen Bedürfnislagen und Erwartungen von Migrant/innen zu berücksichtigen.

Fragestellung: Ziel des Beitrags ist es, Anforderungen an eine kultur- und migrationssensible Pflege aus Perspektive älterer türkeistämmiger Migrant/innen zu identifizieren.

Methodik: Datenbasis bilden eine qualitative und eine quantitative Studie zu Alterns- und Pflegeorientierungen älterer Migrant/innen (Schenk et al. 2011/Krobisch et al. 2014; qualitativ: n = 11/quantitativ: n = 194). Die Interviewteilnehmer/innen wurden jeweils mithilfe eines Netzwerkansatzes gewonnen (Yilmaz et al. 2009), die Interviews auf Wunsch in Türkisch geführt. Die Analyse der qualitativen Interviews erfolgte mittels der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2008). Die Bedeutsamkeit kultur- und migrationssensibler Aspekte in der Pflege wurde im Rahmen der quantitativen Studie über sieben dichotome Einzelindikatoren abgefragt. Die statistischen Analysen umfassten neben deskriptiver Statistik eine multiple Regression.

Ergebnisse: (Krobisch et al. 2016) Die Bedeutsamkeit einer kultur- und migrationssensitiven Pflege korrespondiert mit einer subjektiv türkisch geprägten Identität, mit als schlecht eingeschätzten Deutschkenntnissen sowie mit dem weiblichen Geschlecht. Rückkehrorientierung, Pendelmigration, subjektive Gesundheit, Pflegestufe und sozialer Status zeigten keine statistisch relevanten Effekte auf die Valenz von Migrationssensibilität. Als zentral erwies sich die gemeinsame Sprache von Pflegefachperson und zu Pflegenden (79%). Ein gemeinsamer sprachlicher (und soziokultureller) Hintergrund dient nicht nur der Verständigung auf Sachebene, sondern auch – so zeigte die qualitative Studie – auf einer emotionalen Ebene und erleichtert unmittelbares intuitives Verstehen.

Fazit und Praxisrelevanz: Mit der türkeistämmigen älteren Bevölkerung wurde eine Zuwanderergruppe befragt, die häufig eine starke Verankerung in der eigenen ethnischen Community sowie ein eher geringer Grad an Deutschkenntnissen charakterisiert. Die Pflege in der Muttersprache und darüber hinaus durch Landsleute scheint für sie dementsprechend eine Schlüsselanforderung an eine Versorgung zu sein. Diese Tendenz bestätigt eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung für diese Zielgruppe und im Übrigen in besonders hohem Maße auch für Personen ohne Migrationshintergrund (SVR 2015). Neben der Förderung der Beschäftigung türkeistämmiger Pflegefachpersonen gilt es, soziokulturell geprägte Anforderungen der Migrant/innen auch in multikulturellen Pflegekonstellationen zu berücksichtigen, d.h. die Versorgung migrationssensibel auszurichten. Referenzen beim Verfasser.