Gesundheitswesen 2016; 78 - A137
DOI: 10.1055/s-0036-1586647

Entwicklungsgefährdungen bei Jugendlichen nach Alkoholintoxikation – ein Vergleich mit repräsentativen Bevölkerungsgruppen

H Schwendemann 1, H Kuttler 2, O Reis 3, EM Bitzer 1
  • 1Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg
  • 2Cooptima, Prävention und Gesundheitskommunikation, Lörrach
  • 3Universitätsmedizin Rostock, Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, Rostock

Hintergrund: Exzessiver Alkoholkonsum im Jugendalter gehört zu den am häufigsten praktizieren Formen von jugendlichem Risikoverhalten und kann akute Gesundheitsschädigungen und langfristige Probleme mit sich bringen. Eine besondere Zielgruppe für präventive Interventionen stellen Jugendliche dar, die auf Grund einer Alkoholintoxikation im Krankenhaus behandelt werden. Bislang ist wenig über Art und Ausmaß von Entwicklungsgefährdungen bekannt und Vergleichswerte mit repräsentativen Bevölkerungsgruppen gibt es kaum.

Methode: Die Analysen basieren auf einer prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie bei 13 – 17-Jährigen im Zuge eines alkoholassoziierten Krankenhausaufenthaltes. Es wurden (familiäre) Gewalterfahrungen, Substanzkonsum, schulische Probleme, Delinquenz, Wohnsitzlosigkeit, Depressivität und Suizidalität mittels Items aus dem KiGGS, dem Childhood Trauma Questionnaire und dem Communities That Care Youth Survey Instrument erhoben.

Es erfolgten deskriptive sowie inferenzstatistische Analysen mit SPPS V22. Zur Analyse der Unterschiede zwischen den befragten Jugendlichen und der Referenzstichprobe wurden 95% Konfindenzintervalle der Differenzen der Anteile, mittels der Newcomb Formel nach Altmann (2013) berechnet.

Ergebnisse: 342 Jugendliche, im Alter von M = 15,5 (SD = 1,2) Jahren beteiligen sich an der T0 Befragung. 48,1% der Jugendlichen sind weiblich. Jugendliche nach Alkoholintoxikation weisen, im Vergleich zur Referenzbevölkerung, unter anderem höhere Anteile im Bereich der körperlichen Gewalterfahrungen in der Familie („wurden mit Stock/Gürtel geschlagen“ +13,7 Prozentpunkte (95% KI 6,4 – 18,4); „Eltern sagten verletzende Dinge zu mir“ +24,0 Prozentpunkte (95% KI 11,8 – 34,7)) und sexuellen Gewalterfahrungen („sexuelle Handlungen durch Jugendliche gegen den Willen“ + 27,0 Prozentpunkte (95% KI 12,2 – 42,9)) auf, ebenfalls beim Cannabis-Konsum (+ 23,1 Prozentpunkte (95% KI 18,0 – 28,5)) und im Binge Drinking (+11,0 Prozentpunkte (95% KI 5,3 – 15,7)), bei Schulausschluss (+ 10,7 Prozentpunkte (95% KI 6,8 – 15,3)) und delinquentem Verhalten („Verhaftungen“ +13,3 Prozentpunkte (95% KI 9,5 – 17,8)). Im Bereich der Prävalenz von Depressivität, Suizidalität, sexuellem Missbrauch durch Erwachsene und Alkoholkonsum von mehr als 2 Mal pro Woche, unterscheiden sich die Anteilswerte von Jugendlichen nach Alkoholintoxikation nicht signifikant von denen der Referenzbevölkerung.

Diskussion: Alkoholintoxikierte Jugendliche sind erheblich stärker belastet, als Jugendliche der Durchschnittsbevölkerung. Die Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass eine Erfassung des Risikoprofils bei diesen Jugendlichen notwendig ist, um das Gefährdungsausmaß der Betroffenen einschätzen zu können und, wenn nötig, in weiterführende Hilfen einzubinden.