Gesundheitswesen 2016; 78 - A53
DOI: 10.1055/s-0036-1586563

Ambulante Inanspruchnahme einer zentralen Notaufnahme in ruraler Umgebung: Qualitative Befragung zur Motivation von Patientinnen und Patienten ohne dringlichen medizinischen Handlungsbedarf

M Schmiedhofer 1, M Möckel 1, A Slagman 1, J Frick 1, J Searle 1
  • 1Charité Universitätsmedizin, Arbeitsbereich Notfallmedizin/Rettungsstellen, Berlin

Hintergrund: Patienten ohne notfallmedizinischen Versorgungsbedarf suchen zur akutmedizinischen Behandlung Notaufnahmen auch während der Sprechzeiten niedergelassener Ärzte auf. Leitfadengestützte Befragungen an Großstadtkliniken ergaben als Hauptgründe neben der Substitution nicht oder spät verfügbarer Haus- oder Facharzttermine größere Zeitautonomie, den Qualitätsstandard eines Krankenhauses sowie die Option multidisziplinärer Untersuchungen. Befragte berichteten, zur Mit- oder Weiterbehandlung durch Arztpraxen auf die Ressourcen der Notaufnahmen verwiesen worden zu sein. Patienten mit erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber körperlichen Beschwerden suchten die Notaufnahme komplementär zur Haus- oder Facharztversorgung auf. Zur Ergänzung der in einer Großstadt durchgeführten Befragungen mit hohem Versorgungsgrad und engmaschigem Nahverkehrsnetzes um die Sichtweise einer ländlichen Region wurde eine weitere Befragung an der Notaufnahme einer Klinik in ruraler Gegend durchgeführt.

Ziel der Fragestellung und Methode: Zur Erfassung der Motive zum Aufsuchen einer Notaufnahme ohne dringlichen Handlungsbedarf wurden 31 leitfadengestützte Interviews an der Notaufnahme eines Krankenhauses in einer sachsen-anhaltinischen Stadt mit Mittelzentrumsfunktion durchgeführt. Die Auswertung erfolgte mit der Qualitativen Inhaltsanalyse.

Ergebnisse: Als Hauptmotive gaben die Befragten die Erwartung medizinischer Hilfe auf Krankenhausniveau sowie die Substitution spezialärztlicher Behandlung an. Ein Drittel der Befragten begründete das gezielte Aufsuchen der Notaufnahme mit dem Ziel schneller Wiederherstellung der Arbeitskraft. Länger bestehende, bisher nur unbefriedigend behandelte oder diagnostizierte Symptome führten verunsicherte Patienten zur Mitbehandlung in die Notaufnahme. Auch wurde berichtet, von den Hausärzten an die Notaufnahme verwiesen worden zu sein. Anders als die Patienten der großstädtischen Notaufnahmen berichteten die Befragten der ruralen Umgebung überwiegend über eine stabile hausärztliche Bindung mit unproblematischem Sprechstundenzugang. Bei einem angenommenen Spezialärztlichen Bedarf („Röntgen erforderlich“) steuerten sie jedoch direkt die Notaufnahme an.

Diskussion und Praxisrelevanz: Notaufnahmen werden in urbaner und ruraler Region als eigenständiges ambulantes Versorgungsangebot nachgefragt und erhalten dabei eine sektorenübergreifende Funktion. Patienten suchen den jeweils ihren Bedürfnissen nach Zeitautonomie oder medizinischer Qualität entsprechenden Behandlungsort auf und verhalten sich damit subjektiv rational. Diese Resultate stimmen mit nationalen und internationalen Forschungsergebnissen überein. Eine nachhaltig erfolgreiche Entlastung von Notaufnahmen muss die Nachfrage bestimmenden Motive mit niedrigschwellig zugänglichen akutmedizinischen Versorgungsangebote beantworten. Besorgte Patienten in ambulanter Behandlung könnten durch verstärkte Arzt-Patientenbeziehungen und engere Kooperation mit Spezialärzten eine zufriedenstellende Behandlung erhalten. Referenzen beim Verfasser.