Gesundheitswesen 2016; 78 - A33
DOI: 10.1055/s-0036-1586543

Prävalenz und Verordnungsentwicklung von PRISCUS-Medikamenten und fraglichen PRISCUS-Medikamenten – Ergebnisse der populationsbasierten Heinz Nixdorf Recall Studie

H Bachmann 1, E Exler 2
  • 1Institut für PharmakogenetikUniversitätsklinikum EssenUniversität Duisburg-Essen, Essen
  • 2Zentrum für Urbane Epidemiologie (CUE), Essen

Hintergrund: Um die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) im Alter zu erhöhen sind eine Vielzahl von Listen mit potentiell inadäquater Medikation (PIM) mittels Expertenkonsens entwickelt worden. In Deutschland entstand 2010 die PRISCUS-Liste, in der 83 Medikamente als PIM kategorisiert wurden. Darüber hinaus wurden 46 Medikamente mit nicht eindeutiger Bewertung als fragliche PRISCUS-Medikamente eingestuft. Im Gegensatz zur der sehr populären PRISCUS-Liste werden die fraglichen PRISCUS-Medikamente nicht diskutiert. Ziel ist es die Prävalenz von PRISCUS- und fraglichen PRISCUS-Medikamenten in einer prospektiven Kohorte aus dem dichtbesiedelten Ruhrgebiet zu schätzen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer ausführlichen Literaturrecherche soll der Stellenwert der fraglichen PRICUS-Medikamente im Vergleich zu den PRISCUS-Medikamenten aufgezeigt werden.

Methoden: Daten von n = 4814 Probanden (45 – 75 Jahre, Männer 49,8%) aus der Erst- (2000 – 2003) und Zweiterhebung (2006 – 2008) der Heinz Nixdorf Recall Studie wurden eingeschlossen. Zur Studie gehörte die Erfassung der in den letzten 7 Tagen vor der Untersuchung eingenommenen Medikation. Diese umfasste Verordnungen aus der ambulanten ärztlichen Versorgung und die Selbstmedikation, nebst Nahrungsergänzungsmitteln und Phytotherapeutika.

Ergebnisse: Die Prävalenz von PRISCUS-Medikamenten bei ≥65-Jährigen (n = 1066) liegt bei 18% (Männer 16%, Frauen 20%). Nach fünf Jahren Follow-up zeigt sich über alle Altersgruppen keine Änderung der Prävalenz. Der PRISCUS-Anteil an allen Medikamenteneinnahmen sinkt von 5,8% auf 4,3%. Kardiovaskuläre (Nifedipin, Sotalol) und psychotrope PRISCUS (Benzodiazepine, Antidepressiva) sind am häufigsten (107 respektive 60 Einnahmen). Die Rangfolge ändert sich nach fünf Jahren (78 respektive 88 Einnahmen). Die Prävalenz von fraglichen PRISCUS liegt bei 23% und steigt auf 31%. Häufige und steigende fragliche PRISCUS sind Diclofenac (60 Einnahmen Ersterhebung +37 Einnahmen Follow-up), Acetylsalicylsäure (15 +17), Ginkgo Biloba (39 +37), Glibenclamid (24 +1), Moxonidin (19 +6), Theophyllin (16 +1) und Opipramol (5 +9 Einnahmen).

Fazit: Die Ergebnisse zeigen, dass fragliche PRISCUS durch eine häufigere Einnahme bedeutsamer bezüglich unerwünschter Arzneimittelwirkungen sein könnten, als PRISCUS-Medikamente selbst. Die PRISCUS-Liste ist klinisch und pharmakologisch teils inkonsistent. Fragliche PRISCUS oder nicht-PIM sind teilweise nebenwirkungsreicher als PRISCUS. Ähnliche Wirkstoffe sind zum Teil PRISCUS, zum Teil fragliche PRISCUS. Fragliche PRISCUS oder ähnliche, nicht bewertete Wirkstoffe werden als scheinbar sichere Alternativen zu PRISCUS empfohlen. Die PIM-Listen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass randomisiert-kontrollierte Arzneimittelstudien bei Älteren fehlen.