Gesundheitswesen 2016; 78 - A31
DOI: 10.1055/s-0036-1586541

Viel hilft viel? Einflussfaktoren für Multimedikation in der zweiten Lebenshälfte

S Nowossadeck 1
  • 1Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin

Einleitung: Multimedikation ist im höheren Alter eine verbreitete Erscheinung, da mit dem zunehmenden Anteil von Personen mit Ko- und Multimorbidität im Alter auch die Anzahl der medikamentösen Therapien steigt. Mit der Anzahl der Medikamente steigt aber auch die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen, die die Gesundheit gefährden und zum Beispiel zu Stürzen beitragen können. Ab einer gleichzeitigen Einnahme von 5 und mehr Medikamenten pro Tag lassen sich unerwünschte Arzneimittelwirkungen nicht mehr zuverlässig vermeiden.

Fragestellung: Der Beitrag untersucht Einflussfaktoren für das Auftreten einer Multimedikation bei 40- bis 85-Jährigen.

Methoden: Für die Untersuchung wurden Daten des Deutschen Alterssurveys (DEAS) mit etwa 6.000 Befragten analysiert. In die Analyse einbezogen wurden soziodemographische Variablen (Alter, Geschlecht, Bildung), eine Variable zu chronischen Krankheiten sowie eine Variable zur Ärztedichte im Kreis. Die Daten wurden mit einem logistischen Regressionsmodell analysiert, dessen abhängige Variable das Auftreten von Multimedikation (Einnahme von 5 und mehr Medikamenten pro Tag) war.

Ergebnisse: 70- bis 85-Jährige haben ein erhöhtes Risiko der Multimedikation im Vergleich zu 40- bis 54-Jährigen (OR: 6,32, p < 0,01). Männer sind etwas öfter von Multimedikation betroffen als Frauen (OR: 1,42, p < 0,01). Ein niedriger Bildungsgrad erhöht das Risiko von Multimedikation im Vergleich zu hoher Bildung (OR: 2,24, p < 0,01). Personen mit mehreren chronischen Krankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko, 5 oder mehr Medikamente einzunehmen im Vergleich zu Personen ohne chronische Krankheiten (OR: 16,38, p < 0,01). Das Risiko ist auch für Personen mit nur einer chronischen Krankheit erhöht (OR: 5,08, p < 0,01). In das Modell einbezogen wurden auch Kreisdaten der Zahl der Ärzte je 100.000 Einwohner. Es zeigt sich, dass in Kreisen mit einer geringen Ärztedichte das Risiko für Multimedikation etwas höher ist als in Kreisen mit hoher Ärztedichte (OR: 1,39, p < 0,01).

Diskussion: Multimedikation ist ein ernstzunehmender Gesundheitsfaktor im höheren Alter. Sie tritt besonders häufig bei Personengruppen auf, deren Gesundheit ohnehin gefährdet ist: Hochaltrige, niedrig Gebildete, mehrfach chronisch Erkrankte. Die medikamentöse Therapie dieser Personengruppen sollte besonders sorgfältig abgestimmt werden. Auch eine geringe Ärztedichte im Kreis erhöht das Risiko für Multimedikationen. Regionale medizinische Versorgungsunterschiede sind auch aus diesem Grund weitergehend zu untersuchen.