Gesundheitswesen 2016; 78 - A19
DOI: 10.1055/s-0036-1586529

Theoriegeleitete Entwicklung von Interventionsmaterialien zur Reduzierung von Sitzzeiten im familiären Kontext

J Bucksch 1, J Alfes 1, Y Demtriou 2, K Aue 3
  • 1Universität Bielefeld, Bielefeld
  • 2Technische Universität München, München
  • 3Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb), Berlin

Hintergrund: Der Alltag der meisten Menschen ist von sitzendem Verhalten geprägt. Da lange Sitzzeiten Forschungsergebnissen zufolge jedoch einen eigenständigen gesundheitsriskanten Einfluss aufweisen, ist der Handlungsdruck aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht hoch. Um frühzeitig Weichen für einen sitzarmen Alltag und eine gesunde Entwicklung zu stellen, sind Interventionen zur Reduzierung und Unterbrechung langanhaltender Sitzzeiten von Kindern im familiären Kontext gefordert.

Ziel der Fragestellung: Derzeit fehlen auf nationaler Ebene evaluierte Interventionsansätze und -materialien, um Sitzzeiten von Kindern im familiären Kontext gezielt zu reduzieren. Deshalb bestand das übergeordnete Ziel des Projekts in der systematischen und theoriegeleiteten Entwicklung prototypischer Interventionsmaterialien für diese Zielgruppe.

Methodisches Vorgehen: Zunächst wurden über eine systematische Literaturrecherche in Fachdatenbanken (u.a. MEDLINE/PubMed) bestehende familienbasierte randomisiert kontrollierte Interventionsstudien zur Sitzzeitreduzierung von Kindern identifiziert. Darauf folgte die Bewertung der Interventionen anhand ihrer methodischen Qualität und Wirksamkeit, um die bewährten Interventionsmethoden (= theoretischer Ansatz) und konkret eingesetzten Interventionsmaterialien zu extrahieren. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden eigene Interventionsmaterialien entwickelt und in einer ad-hoc-Stichprobe von 12 Familien hinsichtlich Verständlichkeit, Zielgruppenangemessenheit sowie Nutz-, Anwendbar- und Sinnhaftigkeit mithilfe von leitfadengestützen Interviews analysiert. Die Auswertung der Interviews erfolgte computergestützt nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 34 Interventionsstudien analysiert. Auffallend häufig wurden in den erfolgversprechenden Interventionen die theoretischen Ansätze der Steigerung des Problembewusstseins, der Selbstbeobachtung, der Selbstverpflichtung, der Stärkung sozialer Netzwerkbildung und der Belohnung genutzt, die auch als Grundlage für die Entwicklung eigener Materialien (Handout, Zielvereinbarungsbogen, Poster und Selbstbeobachtungsbogen) dienten. Allerdings waren die Unterschiede in den eigensetzten Interventionsmethoden hinsichtlich der Qualität und Effektivität der Interventionen nur gering. In der weitergehenden Interviewstudie bewertete die Zielgruppe die Materialien insgesamt positiv und sieht Verbesserungspotenziale u.a. in einer intensivieren Einbindung der Eltern, einer stärkeren Zielgruppenspezifität sowie einer höheren Praktikabilität. Zusätzlich wurde deutlich, dass Familien bislang nicht für das Thema Sitzen sensiblisiert waren.

Fazit und Implikationen: Es besteht national ein großer Nachholbedarf für Interventionsmaterialien, die sich spezifisch auf die Reduzierung von Sitzzeiten von Kindern im familiären Kontext beziehen. Mit dem vorgelegten Projekt wurden erste theoriebasierte Interventionsmaterialien entwickelt und basierend auf Rückmeldungen der Zielgruppe in einem kreativen Optimierungsschritt hin zu einer spielerischen Variante der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (www.familienaufstand.de).