Gesundheitswesen 2016; 78 - A6
DOI: 10.1055/s-0036-1586516

RCT und (Selbst-)Auswahlbias: Die Wirksamkeit von Rehabilitation am Beispiel Mobiler geriatrischer Rehabilitation von Bewohnerinnen stationärer Pflegeeinrichtungen

J Behrens 1, 2, M Schmidt-Ohlemann 3, N Martin 4, K Grune 4, H Janßen 5, L Köhler 6, R Siegert 7, M Warnach 8, JW Kraft 1, F Naumann 4, M Pflug 9, S Thiel 4, M Wolf 2
  • 1Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Halle/Saale
  • 2Institut für Supervision, Institutionsanalyse und Sozialforschung, Frankfurt am Main
  • 3Deutsche Vereinigung für Rehabilitation, Bad Kreuznach
  • 4Evangelisches Krankenhaus Woltersdorf, Woltersdorf
  • 5Hochschule Bremen – Institut für Gesundheits- und Pflegeökonomie (IGP), Bremen
  • 6Hochschule Bremen, Bremen
  • 7Klinikum Bremen Ost, Bremen
  • 8Evangelisches Johannisstift, Berlin
  • 9Klinikum Coburg GmbH, Coburg

Hintergrund: RCTs sind erfunden, um den Auswahlbias zu bewältigen. Das beste Verfahren für die Wirkungsmessung ohne Auswahlbias eines noch nicht eingeführten Verfahrens ist eine RCT. Bei eingeführten Verfahren, auf die es einen Rechtsanspruch gibt, scheinen RCTs vielen Experten weder ethisch noch sozialrechtlich vertretbar. So gibt es in der deutschen Rehabilitations- und Therapieforschung viele Studien, die verschiedene Formen von Rehabilitation vergleichen, darunter auch RCTs. Aber es gibt kaum Studien, die eine rehabilitative Intervention mit „keiner Reha“ vergleichen.

Fragestellung: Sind randomisierte kontrollierte Studien medizinischer Rehabilitation, auf die es einen Rechtsanspruch gibt, versus keine Rehabilitation möglich und wenn ja, wie aufwändig sind sie und bewältigen sie überhaupt den Auswahlbias?

Methodisches Vorgehen: Verschiedene Studiendesigns werden verglichen, wobei die Mobile Geriatrische Rehabilitation pflegebedürftiger Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen „im Heim“ als Beispiel dient. Dieses Beispiel entstammt einer laufenden, vom BMG geförderten multizentrischen Studie aus fünf Bundesländern.

Ergebnisse: CCTs können prospektiv die Verläufe von Personen, denen eine Indikation für Mobile Geriatrische Rehabilitation zugesprochen wurde, mit und ohne mobiler Reha vergleichen – ohne Forschereinfluss auf die Zuordnung von Rehabedürftigen zu diesen Gruppen. Es kann dann festgestellt werden, ob die eine Gruppe die Rehaziele besser erreicht als die andere, ohne die Unterschiede theoretisch unbedingt kausal interpretieren zu können wie bei einer RCT. Eine RCT wäre ethisch zwar möglich im Vergleich zweier zugelassener Verfahren, z.B. stationärer versus mobiler Reha. Aber wäre sie auch im Vergleich Mobiler Reha mit überhaupt keiner Reha bei rehabedürftigen Antragstellern, die nicht lange warten können, ethisch und sozialrechtlich möglich? Nnach der Antragstellung nicht mehr. Da Rehabilitation allerdings eine Antragsleistung ist, wäre eine RCT vertretbar, wenn rehabedürftige Personen vor der Antragstellung kontaktiert würden und zu diesem frühen Zeitpunkt einer Randomisierung zustimmten. Neben dem Aufwand eines solchen Vorgehens ist allerdings noch fraglich, ob das Ziel der Randomisierung, die Bewältigung des Auswahlbias, erreicht wird. Zwar bewältigt Randomisierung den Auswahlbias der Forscher klar. Aber der Selbstauswahl-Bias der Rehabedürftigen, die sich zur Randomisierung bereit erklären, ist damit noch nicht bewältigt. Dieser Selbstauswahl-Bias wäre nur dann zu vernachlässigen, unterschieden sich die zur Randomisierung bereiten nicht von der Grundgesamtheit aller Rehabedürftigen.

Generelle RCT-Diskussion: RCT ist möglich, Bewältigung des Selbstauswahl-Bias ist allerdings immer zu prüfen. Referenzen beim Verfasser.