Gesundheitswesen 2016; 78 - A2
DOI: 10.1055/s-0036-1586512

Inanspruchnahme von Kinderfrüherkennungsuntersuchungen durch Kinder Asylsuchender in Mainz – Ergebnisse einer qualitativen Befragungsstudie

M Wiederkehr 1, S Letzel 1, U Zier 1
  • 1Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz, Mainz

Hintergrund: Damit auch Kinder Asylsuchender am bundesweit einheitlichen Programm zur Früherkennung von Krankheiten und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern teilnehmen können, werden die Untersuchungskosten durch die Sozialämter getragen. Bisherige Studien deuten auf verminderte Inanspruchnahme von U-Untersuchungen durch Asylsuchende hin, ohne Hintergründe genauer zu beleuchten [1,2].

Ziel der Fragestellung: Anhand einer Befragung zur Inanspruchnahme der U1 bis U9 durch Kinder Asylsuchender, die in Gemeinschaftsunterkünften in Mainz leben, sollen Faktoren herausgearbeitet werden, welche die Inanspruchnahme und Qualität der Untersuchung beeinflussen.

Methoden: Im ersten Quartal 2016 wurden qualitative Interviews mit asylsuchenden Eltern von Kindern bis fünf Jahre und ausreichenden Sprachkenntnissen in Arabisch, Persisch, Serbokroatisch oder Deutsch mit sowie Institutionsvertretern aus Gesundheitsamt, Sozialamt und der kinderärztlichen Praxis geführt. Da das rheinland-pfälzische Einladungswesen die Anmeldung des Wohnsitzes voraussetzt, wurden nur gemeldete Familien eingeschlossen. Die Einladung erfolgte über Sozialarbeiter/innen in den Gemeinschaftsunterkünften. Die hermeneutische Analyse der transkribierten Interviews erfolgt unterstützt durch MaxQDA.

Ergebnisse: Von 20 eingeladenen Familien haben acht Familien mit zehn Kindern im Untersuchungszeitraum teilgenommen. Weitere fünf Interviews wurden mit Institutionsvertretern geführt. Erste Auswertungsergebnisse zeigen, dass in Deutschland geborene Kinder an 19 von 22 vorgesehenen U-Untersuchungen teilgenommen haben, nicht in Deutschland geborene Kinder an zwei von neun. Dieser Unterschied bleibt auch innerhalb von Familien bestehen. Als hemmende Faktoren zeichnen sich ab: mangelndes Wissen, verzögerte Wohnsitzmeldung durch späte Terminvergabe, Nicht-Verstehen der deutschsprachigen Einladungsschreiben und Unsicherheiten der Kinderärzte/innen und Eltern bezüglich der Finanzierung der Untersuchung. Die Qualität wird durch Sprachbarrieren gemindert. Verwendete Strategien zur Überwindung der Sprachbarriere sind: das Hinzuziehen Angehöriger mit besseren Sprachkenntnissen, telefonische Übersetzungsdienste, langsames Sprechen und englische Sprache.

Fazit: Eine geringere Inanspruchnahme zeigt sich vor allem für Kinder, die nicht in Deutschland geboren sind. Hierfür scheinen vor allem Mängel bei der Aufnahme in das Einladungswesen und die Wissensvermittlung entscheidend zu sein. Die Verständigung zwischen Kinderärztin/-arzt und Patienten gelingt häufig grundlegend.

Schlussfolgerung und Praxisrelevanz: Die Ergebnisse der qualitativen Befragung können als Grundlage für weitere, standardisierte Untersuchungen zum Themenfeld dienen. Handlungsempfehlungen für die Praxis lauten schon jetzt: Familien sollten zügig bei der Stadt angemeldet werden. Das Einladungsschreiben sollten um die häufigsten flüchtlingsspezifischen Sprachgruppen ergänzt werden. Von den Familien positiv bewertete Kommunikationsstrategien können leicht in der kinderärztlichen Praxis angewandt werden. Referenzen beim Verfasser.