Zielsetzung: Mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs durch Art. 13 des SFHG
(Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27.07.1992, BGBl. I, S. 1398) wurde die
sog. embryopathische Indikation verlassen. §218a Abs. 2 StGB verlangt seither für
einen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation nach der 12. SSW eine
„nach ärztlicher Erkenntnis“ gegebene Notlage der Schwangeren. Das Gießener Modell
sieht dabei eine enge Zusammenarbeit von Pränatalmedizin, Rechtsmedizin, Staatsanwaltschaft
und Fetalpathologie vor.
Methodik: Vom 01.05.2012 bis zum 31.07.2015 wurden im Universitätsklinikum Gießen 100 Schwangerschaftsabbrüche
gem. §218a Abs. 2 StGB vorgenommen. Den Krankenunterlagen wurden folgende Daten entnommen:
Alter der Schwangeren, Zahl der Schwangerschaften, Art der Erkrankungen des Feten,
Zeitpunkt der Diagnose, medizinische und psychosoziale Beratung der Schwangeren, Zeitpunkt
des Spätabbruchs und der Entbindung, Art des Schwangerschaftsabbruchs, Geschlecht
der Feten.
Ergebnisse: Bei 100 Schwangeren, Durchschnittsalter 31,5 Jahre, wurde in der 13.-35. SSW ein
Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation durchgeführt. In 39 Fällen waren
pränatal chromosomale Anomalien diagnostiziert worden, in den übrigen 61 Fällen sonografisch
diagnostizierte Anomalien mit dominierenden Entwicklungsstörungen des ZNS und des
kardiovaskulären Systems. In allen Fällen erfolgte eine interdisziplinäre Beratung
der betroffenen Eltern, sowie das Angebot der psychosomatischen Mitbetreuung und der
Anbindung an eine psychosoziale Beratungsstelle. In allen Fällen erfolgte postpartal
eine rechtsmedizinische Leichenschau.
Schlussfolgerung: Neben der Dokumentation der intrauterinen Erkrankung des Feten wird beim Schwangerschaftsabbruch
gem. §218a Abs. 2 StGB von den behandelnden Ärzten erwartet, dass die „nach ärztlicher
Erkenntnis“ gegebene Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung
des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren in den Krankenunterlagen
plausibel dargelegt wird. Dies erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit
der beteiligten Fachdisziplinen und mit den Strafverfolgungsbehörden.