Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - P67
DOI: 10.1055/s-0036-1583840

Spätabbrüche nach der 12. SSW gemäß §218a Abs. 2 StGB – Daten aus der Praxis des „Gießener Modells“

J Lang 1, A Wolter 2, A Kawecki 2, A Weber 3, R Axt-Fliedner 2, R Dettmeyer 1, J Degenhardt 2
  • 1Institut für Rechtsmedizin, Universitätskliniken Gießen und Marburg, Gießen, Deutschland
  • 2Abteilung für Pränatalmedizin, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Justus-Liebig-Universität, Gießen, Deutschland
  • 3Institut für Humangenetik, Justus-Liebig-Universität, Gießen, Deutschland

Zielsetzung: Mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs durch Art. 13 des SFHG (Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27.07.1992, BGBl. I, S. 1398) wurde die sog. embryopathische Indikation verlassen. §218a Abs. 2 StGB verlangt seither für einen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation nach der 12. SSW eine „nach ärztlicher Erkenntnis“ gegebene Notlage der Schwangeren. Das Gießener Modell sieht dabei eine enge Zusammenarbeit von Pränatalmedizin, Rechtsmedizin, Staatsanwaltschaft und Fetalpathologie vor.

Methodik: Vom 01.05.2012 bis zum 31.07.2015 wurden im Universitätsklinikum Gießen 100 Schwangerschaftsabbrüche gem. §218a Abs. 2 StGB vorgenommen. Den Krankenunterlagen wurden folgende Daten entnommen: Alter der Schwangeren, Zahl der Schwangerschaften, Art der Erkrankungen des Feten, Zeitpunkt der Diagnose, medizinische und psychosoziale Beratung der Schwangeren, Zeitpunkt des Spätabbruchs und der Entbindung, Art des Schwangerschaftsabbruchs, Geschlecht der Feten.

Ergebnisse: Bei 100 Schwangeren, Durchschnittsalter 31,5 Jahre, wurde in der 13.-35. SSW ein Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation durchgeführt. In 39 Fällen waren pränatal chromosomale Anomalien diagnostiziert worden, in den übrigen 61 Fällen sonografisch diagnostizierte Anomalien mit dominierenden Entwicklungsstörungen des ZNS und des kardiovaskulären Systems. In allen Fällen erfolgte eine interdisziplinäre Beratung der betroffenen Eltern, sowie das Angebot der psychosomatischen Mitbetreuung und der Anbindung an eine psychosoziale Beratungsstelle. In allen Fällen erfolgte postpartal eine rechtsmedizinische Leichenschau.

Schlussfolgerung: Neben der Dokumentation der intrauterinen Erkrankung des Feten wird beim Schwangerschaftsabbruch gem. §218a Abs. 2 StGB von den behandelnden Ärzten erwartet, dass die „nach ärztlicher Erkenntnis“ gegebene Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren in den Krankenunterlagen plausibel dargelegt wird. Dies erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen und mit den Strafverfolgungsbehörden.