Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - A12
DOI: 10.1055/s-0036-1583563

Das CADASIL-Syndrom als Differentialdiagnose eines postpartalen HELLP-Syndroms

S Schmauder 1, M Brandt 2, A Werner 1
  • 1Diakonissenkrankenhaus Dresden, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
  • 2Radiologische Praxis am Diakonissenkrankenhaus Dresden

Eine 34-jährige I-Gravida, I-Para wurde eine Woche nach spontaner Entbindung in 41+0 SSW und unauffälligem Schwangerschaftsverlauf mit Taubheitsgefühlen perioral und in den Extremitäten, einem Gesichtsfeldausfall des rechten Auges (rechter oberer Quadrant) sowie hyper- und hypotensiv entgleisten Blutdruckwerten wieder stationär aufgenommen. Zuvor waren bei peripartal erhöhten Blutdruckwerten (bis max. 170/110 mmHg) mit zusätzlichen neurologischen Auffälligkeiten im Sinne von Flimmerskotomen, Wortfindungsstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten der laborchemische Ausschluss eines HELLP-Syndroms („haemolysis, elevated liver enzyme levels, low platelet count“) und die erfolgreiche Einstellung auf α-Methyldopa erfolgt. Eigenanamnestisch bestand seit Jahren eine Migräne.

Die FLAIR-Sequenz („fluid attenuated inversion recovery“) der cMRT zeigte insbesondere in den Temporallappen diffuse Marklagerveränderungen (Hyperintensitäten) als Zeichen der mikroangiopathischen Veränderungen. Die Lokalisation der Pathologien ist dabei praktisch pathognomonisch für die CADASIL („cerebrale autosomal dominante Arteriopathie mit subcorticalen Infarkten und Leukoenzephalopathie“).

CADASIL ist die häufigste monogen vererbte Schlaganfallerkrankung. Aufgrund von Fallberichten und Familienanamnesen wird die Prävalenz mit bis zu 4/100.000 Erwachsenen angegeben. Ursächlich sind verschiedene, autosomal-dominant vererbte Mutationen im NOTCH-3-Gen auf dem kurzen Arm von Chromosom 19. Aus dieser Veränderung resultiert eine nicht entzündlich bedingte, nichtthrombotische und nichtamyloidotische Arteriopathie der kleinen hirnversorgenden Gefäße. Symptomatisch kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer subkortikalen Demenz teils mit spastischer Tetraparese und Pseudobulbärparalyse. Der überwiegende Teil der Patienten wird im Verlauf schwer pflegebedürftig. Zusätzliche neurologische Symptome wie Migräne mit Aura, TIA („transitorische ischämische Attacke“) und andere ischämische Ereignisse beeinträchtigen die Patienten in früheren Erkrankungsstadien, wobei das mittlere Erkrankungsalter für derlei Symptome bei etwa 49 Jahren liegt. Einzige Manifestation können für lange Zeit auch rein psychiatrische Erkrankungen sein. Es scheint eine Assoziation des Erkrankungsbeginns mit der Schwangerschaft bzw. dem Wochenbett zu geben. Eine kausale Therapie existiert bislang noch nicht. Besonders wichtig ist allerdings die Minimierung kardiovaskulärer Risikofaktoren, da sich die Effekte der Mikro- und die der Makroangiopathie summieren.

Die genetische Analyse erbrachte bei der Patientin den Nachweis einer o.g. Mutation als Ursache für CADASIL. Als Sekundärprophylaxe erhielt die Patientin Acetylsalicylsäure (ASS) 100 mg zur Thrombozytenaggregationshemmung.