physioscience 2016; 12(03): 90-91
DOI: 10.1055/s-0035-1567125
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die TIDieR-Checkliste wird der physiotherapeutischen Profession nutzen[1]

T. Yamato
1   Musculoskeletal Division, The George Institute for Global Health, Sydney Medical School, The University of Sydney, Australia
,
C. Maher
1   Musculoskeletal Division, The George Institute for Global Health, Sydney Medical School, The University of Sydney, Australia
,
B. Saragiotto
1   Musculoskeletal Division, The George Institute for Global Health, Sydney Medical School, The University of Sydney, Australia
,
A. Moseley
1   Musculoskeletal Division, The George Institute for Global Health, Sydney Medical School, The University of Sydney, Australia
,
T. Hoffmann
2   Centre for Research in Evidence Based Practice, Faculty of Health Sciences and Medicine, Bond University, Queensland, Australia
,
M. Elkins
3   International Society of Physiotherapy Journal Editors
,
K. F. Heise
4   Department of Kinesiology – Movement Control & Neuroplasticity Research Group, Leuven, Belgium
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
09 September 2016 (online)

Evidenzbasierte Praxis beinhaltet, dass Physiotherapeuten hochqualitative klinische Forschungsergebnisse bezüglich der Effektivität von therapeutischen Interventionen in ihren klinischen Entscheidungsfindungsprozess (Clinical Reasoning Anm. KFH) einbeziehen [4]. Wenn jedoch klinische Interventionen nicht adäquat in der Literatur beschrieben sind, stehen Physiotherapeuten vor wesentlichen Hindernissen, effektive Intervention für ihre Patienten anzuwenden. Vorherige Untersuchungen zeigten, dass die unvollständige Beschreibung der Interventionen in randomisierten klinischen Studien ein Problem in vielerlei Gesundheitsbereichen ist [2] [3] [5]. Eine dieser Untersuchungen [5] hat 133 klinische Studien mit nicht pharmakologischen Interventionen untersucht. Die experimentelle Intervention war in über 60 % der klinischen Studien unzureichend beschrieben, und die Beschreibung der Kontrollintervention war oftmals noch schlechter.

Eine jüngere Untersuchung [10] evaluiert die Vollständigkeit der Beschreibung von physiotherapeutischen Interventionen in einer Kohorte von 200 randomisierten kontrollierten Studien, die 2013 veröffentlicht wurden. Insgesamt wurden die Interventionen unzureichend beschrieben. Für die Beschreibung der Interventionsgruppen erfüllten mehr als ein Viertel der Studien nicht einmal die Hälfte der Kriterien. Das Berichten der Kontrollintervention war sogar noch schlechter, mit ungefähr drei Viertel der Studien, die nicht einmal die Hälfte der Kriterien erfüllten. Mit anderen Worten: für die Mehrheit physiotherapeutischer Studien wären Kliniker und Wissenschaftler nicht in der Lage, die untersuchten Interventionen zu replizieren.

Ein Behandlungsverfahren zu beschreiben, erscheint als eine einfache Aufgabe, aber physiotherapeutische Interventionen können sehr komplex sein. Einige Interventionen sind multimodal, sie umfassen die Verwendung manueller Techniken, Verbrauchsmaterialien, Geräte, Ausbildung, Training und Feedback. Einige Interventionen sind auf den individuellen Gesundheitszustand des Patienten zugeschnitten, inklusive die unmittelbare Reaktion des Patienten auf die Anwendung der Behandlung. Wenn die Intervention eine Reihe von Behandlungsverfahren beinhaltet, kann sich die Intensität oder Dosis über die Zeit verändern. Die Beschreibung physiotherapeutischer Intervention in Studienberichten erfasst oftmals nicht alle diese Komponenten einer Intervention oder beschreibt die Komplexität nicht im Detail.

Wenn es den Wissenschaftlern nicht gelingt, alle Aspekte der Interventionen umfassend zu beschreiben, können die Studienergebnisse nicht in die klinische Praxis überführt oder die Intervention könnte inkorrekt implementiert werden. Eine inkorrekte Implementierung könnte die therapeutische Intervention ineffektiv machen, die Zeit des Klinikers sowie des Patienten und darüber hinaus Ressourcen der Gesundheitsversorgung vergeuden. Inadäquates Berichten von Interventionen stellt auch eine Barriere dar, Studienergebnisse in sekundäre Forschung, wie z. B. systematische Übersichtsarbeiten und Leitlinien für die klinische Praxis, zu integrieren sowie für die Brauchbarkeit dieser Ressourcen. Das bedeutet, dass die Ressourcen, die investiert wurden, um die Studie durchzuführen, vergeudet sind. Solche Ressourcen sind umfangreich/weitreichend, mit eingeschlossen sind direkte Studienkosten (z. B. Personalkosten für Wissenschaftler, Verbrauchmaterialien), Nutzung von Infrastruktur (z. B. Klinikräume, technische Geräte), Personalbedarf (z. B. Begutachtung durch Ethikkommission und Drittmittelgeber) und die Gewogenheit der Patienten, die einwilligen, an der Studie teilzunehmen. Derzeit wächst die Erkenntnis, dass wir Strategien benötigen, die die Verschwendung innerhalb der klinischen Forschung eindämmen [8]. Wenn man die Liste der betroffenen Ressourcen in einer einzelnen Studie betrachtet, dann wird offensichtlich, dass eine Verbesserung der Reproduzierbarkeit von Interventionen aufgrund genaueren Berichtens Verschwendungen im Forschungsbereich erheblich reduzieren könnte [7].

Die TIDieR-Checkliste und Richtlinie wurden entwickelt, um das Berichten über Interventionen in jeglicher evaluativer Untersuchung inklusive randomisierten Studien zu verbessern [6]. Die Checkliste umfasst 12 Punkte und wurde als Erweiterung des CONSORT 2010 Statement [9] und des SPIRIT 2013 Statement [1] entwickelt, um einen zusätzlichen Leitfaden für Autoren zu bieten im Hinblick auf die Kerninformation, die in einem Studienbericht enthalten sein sollten. Die TIDieR-Punkte enthalten: Name der Intervention, Grundprinzipien von essenziellen Elementen der Intervention, Materialien für die Intervention und Zugang zu diesen, Beschreibung der Vorgehensweisen innerhalb der Intervention, Details zu den Erbringern der Intervention, Modus der Anwendung der Intervention, Ort der Interventionsanwendung und Kernelemente der Infrastruktur, Details zu Anzahl, Dauer, Intensität und Dosis der Interventionssitzungen, Details zu jeglichen Verfahren der individuellen Anpassung der Intervention, jegliche Modifikation der Intervention im Verlauf der Studie, detaillierte Angaben zur Analyse, Kontrolle und dem erreichten Grad der Genauigkeit der Intervention.

Die TIDieR-Checkliste wird dabei helfen, die Qualität der Berichte über Interventionen zu verbessern, wenn sie nicht nur von Autoren wissenschaftlicher Studien genutzt wird, sondern auch von Herausgebern wissenschaftlicher Fachzeitschriften, Gutachtern im Peer-Review-Verfahren, Ethikkommissionen und Drittmittelgebern. Eine Kopie der Checkliste ist erhältlich unter: www.equator-network.org/reporting-guidelines/tidier (dt. Übersetzung: Tab. 1; www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0041 – 111 066.pdf bzw. www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0041 – 111 066).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das unvollständige Berichten von Interventionen in physiotherapeutischen Studien ein wichtiges Problem darstellt und wir die Anwendung der TIDieR-Checkliste als mögliche Lösung befürworten. Die Verantwortung zur Verbesserung der Darstellung von Interventionen liegt nicht alleine bei den Autoren einzelner Studien, sondern auch bei den Herausgebern von physiotherapeutischen Fachzeitschriften und anderen, die die Benutzung der TIDieR-Checkliste anordnen, um dieses Problem zu bekämpfen. Die obligatorische Nutzung der TIDieR-Checkliste würde Autoren einen Leitfaden geben, um ihre Interventionen besser zu beschreiben und folglich den Praktikern die klinische Anwendung der Interventionen und Wissenschaftlern die Synthese und Replikation der Evidenz erlauben.

Bei physioscience wird das TIDieR-Statement ab der aktuellen Ausgabe in den Manuskriptbearbeitungsprozess einbezogen. Gutachter erhalten im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens zusammen mit dem zu bewertenden Manuskript zusätzlich die TIDier-Checkliste und sind angehalten, Rückmeldung bezüglich fehlender oder unklar beschriebener Aspekte der Intervention an die Autoren zu geben. Autoren sollten ihr Manuskript vor dem Einreichen anhand der Checkliste prüfen. Auch wenn nicht verpflichtend, so sind Autoren eingeladen, die ausgefüllte Checkliste mit ihrem Manuskript einzureichen. Einreichende Autoren können sich mit Fragen bezüglich der Checkliste an das Herausgeberteam der physioscience wenden: physioscience@thieme.de.

1 Der Originalartikel “The TIDieR checklist will benefit the physiotherapy profession” (Australian Journal of Physiotherapy 2016; 62: 57 – 58) wurde übersetzt von Kirstin-Friederike Heise.


 
  • Literatur

  • 1 Chan AW, Tetzlaff JM, Altman DG et al. SPIRIT 2013 statement: defining standard protocol items for clinical trials. Ann Intern Med 2013; 158: 200-207
  • 2 Duff JM, Leather H, Walden EO et al. Adequacy of published oncology randomized controlled trials to provide therapeutic details needed for clinical application. J Natl Cancer Inst 2010; 102: 702-705
  • 3 Glasziou P, Meats E, Heneghan C et al. What is missing from descriptions of treatment in trials and reviews?. BMJ 2008; 336: 1472-1474
  • 4 Herbert R, Jamtvedt G, Birger HagenK et al. Practical Evidence-based Physiotherapy. London: Churchill Livingstone; 2012
  • 5 Hoffmann TC, Erueti C, Glasziou PP. Poor description of non-pharmacological interventions: analysis of consecutive sample of randomised trials. BMJ 2013; 347: f3755
  • 6 Hoffmann TC, Glasziou PP, Boutron I et al. Better reporting of interventions: template for intervention description and replication (TIDieR) checklist and guide. BMJ 2014; 348: g1687
  • 7 Ioannidis JP, Greenland S, Hlatky MA et al. Increasing value and reducing waste in research design, conduct, and analysis. Lancet 2014; 383: 166-175
  • 8 Research: Increasing value, reducing waste. Lancet 2014; 383: 1-56
  • 9 Schulz KF, Altman DG, Moher D et al. CONSORT 2010 statement: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMJ 2010; 340: c332
  • 10 Yamato TP, Maher CG, Saragiotto BT et al. How completely are physiotherapy interventions described in reports of randomised trials?. Physiotherapy 2016; 102: 121-126