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DOI: 10.1055/s-0035-1565940
Johanniskraut und Interaktionen – von Stufenplan und Evidence-based Medicine
Es fing an wie im Märchen: Es war einmal ein schönes gelb blühendes Kraut, Hypericum perforatum genannt, aus dem – nachdem schon die Ärzte des Mittelalters und der frühen Neuzeit sein Potenzial erkannt hatten [1] – in den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jh. Arzneimittel wie Hyperforat und Psychotonin entwickelt wurden, die vielen depressiven Patienten die Lebensfreude wieder zurückgeben konnten. Damit es noch besser wirkte, setzte man höhere Dosen ein, die sich dann in klinischen Studien so gut bewährten, dass es bald als das wirksamste Kraut im ganzen Land galt [2]. Doch dachten manche, das Geheimnis dieser Wirkung in einem einzelnen von dessen Inhaltsstoffen zu finden [3] und steigerten den Gehalt an Hyperforin, mit unerwarteten Folgen: Es zeigten sich zuvor unbekannte Interaktionen mit Medikamenten, die die Abstoßung transplantierter Organe verhindern sollten [4]. Das Märchen hätte nun leicht zu Ende sein können.
Doch konnte systematische Forschung die Mechanismen der Interaktionen erklären. Ein im Jahr 2005 veröffentlichter Stufenplan machte deutlich, dass die Aufnahme entsprechender Angaben in die Beipackzettel das Problem lösen kann. Input der Arzneimittelhersteller folgte [5], der nun auch Berücksichtigung findet [6]. Parallel zeigten neue, hoch moderne Studien die Wirksamkeit auch nach aktuellen Kriterien der Evidence-based Medicine (z.B. [7]).
Cochrane-Reviews [8] und eine HMPC-Monografie [9] belegen heute, dass Johanniskraut-Präparate mit ausgewogener Zusammensetzung und einer ausreichenden Dosierung mit anderen Antidepressiva vollumfänglich mithalten können. Und wenn ein solches Arzneimittel zudem bei mittelschweren Depressionen anwendbar und daher verschreibungspflichtig ist, erstatten es die Kassen noch heute ...
Widmung: Dieser Beitrag ist Frau Prof. Hilke Winterhoff, Münster, verstorben am 09.05.2010, gewidmet, als langjährigem Mitglied der Kommission E und Erforscherin der Wirkmechanismen von Johanniskraut.
[1] Daniel K. Klin Wochenschr 1951; 29: 260 – 262
[2] Kommission E, Hyperici herba, Johanniskraut, EMA/HMPC/101304/2008
[3] Müller WEG et al. Pharmacopsychiatry 1998; 31 (Suppl. 1): 16 – 21
[4] Roots I. MMW Fortschr Med 2000; 142: 14
[5] BfArM. Stufenplanbescheid – Bekanntmachung für die Registrierung und Zulassung von Arzneimitteln vom 10.10.2005
[6] Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH) und Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (bpi). Widerspruchsbegründung. 23.01.2006
[7] Gastpar M et al. Pharmacopsychiatry 2005; 38: 78 – 86
[8] Linde K et al. Cochrane Database Syst Rev 2008: CD000448
[9] HMPC: Community herbal monograph on Hypericum perforatum L., herba, EMA/HMPC/101304/2008 und EMA/HMPC/745582/2009