Gesundheitswesen 2015; 77 - A390
DOI: 10.1055/s-0035-1563346

Der Rechtshilfebedarf somatischer Fachdisziplinen in der medizinischen Versorgung eines Universitätsklinikums – Analyse von 14 Jahren universitärer Konsiliarpsychiatrie

K Gollnick 1, A Genz 1
  • 1Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg

Hintergrund: Nur in akut lebensbedrohlichen Situationen darf der Arzt ohne ausdrückliche Aufklärung und Einwilligung Betroffener invasiv tätig werden. Die Patientenzustimmung setzt die Einwilligungsfähigkeit voraus, die in allen Zweifelsfällen psychiatrisch zu beurteilen ist. Diese psychiatrische Feststellung ist zwingende Voraussetzung für gerichtliche Entscheidungen zur erforderlichen Einrichtung einer Betreuung. Methodik: Erfassung, numerische und semiquantitative inhaltliche Analyse der psychiatrischen Konsiliartätigkeit im Universitätsklinikum Magdeburg von 1999 – 2013. Ergebnisse: Über den Zeitraum ergibt sich ein relativ stabiles Anforderungsprofil: Auf durchschnittlich 46712 Fälle pro Jahr entfielen im Schnitt 766 Konsile. Von 10727 angeforderten Konsilen waren 10246 auswertbar. Davon befassten sich 1485 mit der Fragestellung zur Einwilligungsfähigkeit, von denen 1387 entsprechend den Auswertungsstandards verwertbar waren. Die Art der Fragestellung spiegelte erhebliche Mängel der Kenntnisse somatisch tätiger Kollegen zum Rechtshintergrund wider – in 80,4% lautete die Fragestellung „Geschäftsfähigkeit“, in 10,2% wurde nach einem Betreuungserfordernis und nur in 8,7% wurde korrekt nach der „Einwilligungsfähigkeit“ gefragt. Vereinzelt kamen auch Anforderungen zur „Einsichtsfähigkeit“, „Aufklärungsfähigkeit“, „Zustimmungsfähigkeit“ oder „Zurechnungsfähigkeit“. Rund 43% der Anforderungen entfielen auf weibliche Patienten, rund 57% auf männliche. 12,9% der Anforderungen stellte die Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie, 12,7% die internistische Intensivstation und Intermediate Care und 8,9% die Klinik für Kardiologie. Die Abteilung für Gynäkologie tätigte hingegen nur 1% der Anforderungen. Krankheitsbezogenen Beurteilungsanlass bildeten in 30,4% bevorstehende invasive Maßnahmen, Tumorerkrankungen in 13,5%. Auf die Beurteilung postoperativer psychischer Auffälligkeiten entfielen 7,7% der Anforderungen. In 67,1% aller Begutachtungen wurde eine Einwilligungsunfähigkeit festgestellt. Die häufigsten Ursachen hierfür waren demenzielle Syndrome in 22,7%, organische Psychosyndrome in 15,3% und delirante Syndrome in 7,2%. Anerkannte gutachterliche Standards der Befunderhebung zur Einwilligungsfähigkeit wurden häufig nicht berücksichtigt, so erfolgte in knapp 27% der Konsile eine Aussage zur Einwilligungsfähigkeit ohne oder mit nicht ICD-10-gerechter Diagnose. Diskussion: Eine Hebung des fragestellungsbezogenen Gutachtenstandards setzt Fortbildungsmaßnahmen für die Anforderer und eine eigenständige konsiliarpsychiatrische Abteilung seitens der Leistungserbringer voraus, wie sie die Psychiatriepersonalverordnung fordert.

Referenzen beim Verfasser