Gesundheitswesen 2015; 77 - A229
DOI: 10.1055/s-0035-1563185

Die Bedeutung von Ethik im Aufgabenfeld des ÖGD

M Wildner 1
  • 1Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim

Braucht staatliches Handeln im Dienst an der Bevölkerungsgesundheit eine eigene Ethik? Worin begründet sich der Unterschied zwischen Individualmedizin und Bevölkerungsmedizin? Hauptaufgabe der Bevölkerungsmedizin ist es, „Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen gesund sein können“. Der darin enthaltene Anspruch an den ÖGD, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, zielt zum einen darauf ab, den Gesundheitszustand zu schützen. Gleichzeitig besteht der Anspruch auch darin, auf eine faire Verteilung der Gesundheitschancen und Belastungen zu achten. Weitere Besonderheiten des bevölkerungsmedizinischen Ansatzes sind das besondere Gewicht der Prävention und Gesundheitsförderung, die auch politischen Systemaspekte und damit impliziert auch die hohe Folgenschwere getroffener Entscheidungen. Deutlich zu sagen ist, dass die ärztliche Ethik allein – so wichtig und unverzichtbar sie für sich genommen ist – den Anforderungen an eine ethische Rechtfertigung im Bereich von Public Health nicht genügt. Beispiele für ethische Dilemmata im skizzierten Aufgabenfeld des ÖGD sind mannigfaltig: Bei der Beobachtung von Gesundheitsgefahren und gesundheitlichen Notlagen und Gegenmaßnahmen betreffen sie Umfang und Form von Absonderungen, eine mögliche Stigmatisierung von Personen, die Einschränkung von Grundrechten oder die Verteilung von Lasten. Bei Gesundheitsschutzmaßnahmen – u.a. in den Bereichen Umwelt, Arbeits- und Nahrungsmittelsicherheit – sind Auswahl und Dichte der Kontrollen, Ermessensspielräume bei Auflagen, Themensetzungen und Wahl der Medien berührt. Im Bereich der Gesundheitsförderung erstrecken sie sich auf Umfang und Schwerpunktsetzung, Themenwahl und „Framing“ sowie die Nutznießer der Hilfen. Die Auflösung der beschriebenen Dilemmata bietet das Konzept einer Kern- und Mantelethik. Dieses gestufte Konzept sieht vor, dass im Bereich staatlichen Handelns die Berücksichtigung der Menschenrechte bzw. Grundrechte und der verfassungsmäßigen Ordnung im Vordergrund steht. Entspricht ein Handlungsvorschlag diesem Prüfrahmen nicht, erübrigen sich weitere Überlegungen der Umsetzung. In den allermeisten Fällen wird sich an diese Beachtung der Prinzipien eines ethischen Kerns ein kohärentistischer ethischer Diskurs anschließen. Darunter sind Diskussionen unter Berücksichtigung der möglichen Entscheidungszusammenhänge und unterschiedlicher ethischer Ausgangspunkte zu verstehen.