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DOI: 10.1055/s-0035-1562978
Der Einfluss von Migration und Aufenthaltsstatus auf medizinische Behandlungsentscheidungen. Ergebnisse einer Studie unter Hausärzten in der Schweiz
Hintergrund: Eines der wichtigsten ethischen Prinzipien der medizinischen Profession ist die Vermeidung ungerechtfertigter Ungleichbehandlungen von Patienten. Dennoch zeigen Studien, dass ärztliche Verhaltensweisen von nicht-medizinischen Patientenmerkmalen wie der ethnischen Herkunft oder dem sozioökonomischen Status auf problematische Weise beeinflusst werden. Die Mechanismen, die für solche Ungleichbehandlungen verantwortlich sind, werden erst in letzter Zeit untersucht. Ein möglicher Mechanismus, der zu Disparitäten führen kann, sind systematische (unbewusste) Stereotype in Bezug auf die ethnische Herkunft von Patienten. Die vorliegende Studie fokussiert vor allem auf den Migrations- und Aufenthaltsstatus von Patienten und deren Einfluss auf medizinische Behandlungsentscheidungen. Methodik: Im Jahre 2014 führten wir einen faktoriellen Survey mit n = 352 Hausärzten in der Schweiz durch. In dem Survey wurden ihnen 12 Fallvignetten über fiktive Patienten vorgelegt. Die Studienteilnehmer gaben Beurteilungen über ihre eigene zügige Behandlungsbereitschaft (n = 4165), sowie die potenzielle Behandlungsbereitschaft ihrer Kollegen (n = 4149) ab. Die Vignettenpatienten variierten in ihrer Erkrankung, der Behandlungsdringlichkeit und den medizinisch nicht relevanten Faktoren Herkunft, Aufenthalts- und Versicherungsstatus und wirtschaftliche Lage. Die Auswahl der medizinisch nicht relevanten Faktoren erfolgte in Orientierung an einschlägige Forschung zu Disparitäten in der Gesundheitsversorgung, sowie eigenen theoretischen Überlegungen. Die Effekte der Vignettenvariablen auf die abgefragten Urteile wurden über Ordered-Logistic-Regression-Modelle ermittelt. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Selbsteinschätzung als auch die Einschätzung der Kollegen, zügig zu behandeln nicht nur durch die Erkrankung und die medizinische Dringlichkeit oder den ärztlichen Zeitdruck bestimmt werden, sondern zusätzlich durch die Herkunft, den Aufenthalts- und Versicherungsstatus sowie die wirtschaftliche Lage der Vignettenpatienten. Fazit: Das Thema implizite und explizite Vorurteile sollte stärker in die ärztliche Aus- und Weiterbildung integriert werden. Das Ziel solcher Maßnahmen sollte darin bestehen, das Bewusstsein für den potenziellen Einfluss sozialer Merkmale auf professionelles Handeln zu schärfen, und mögliche Alternativen aufzuzeigen ohne neue Stereotype zu schaffen oder bestehende zu verstärken.