Suchttherapie 2015; 16 - PL_06
DOI: 10.1055/s-0035-1557498

Crystal-Speed und andere amphetaminartige Substanzen (ATS) als Herausforderung

R Härtel-Petri 1
  • 1Bezirkskrankenhaus Bayreuth

Einleitung: Auch Deutschland ist mittlerweile von der Verdrängung des d-Amphetamines durch das N-Methamphetaminhydrochlorid in seiner hochkonzentrierten Form „Crystal-Meth“ in bestimmten Drogenszenen betroffen. Es ist mit einer vermehrten Behandlungsnachfrage zu rechnen. Die Methamphetaminabhängigkeit gilt als ein weltweites Problem mit hohen sozialen Folgekosten. Nach Cannabis ist Methamphetamin die weltweit am häufigsten konsumierte illegale Droge.

In den Statistiken der Polizei zu den Erstauffälligen Konsumenten waren die Amphetamine bereits seit 2003 für mehr als 50% der erstauffälligen Konsumenten verantwortlich. Dabei ist die Hautsubstanz bundesweit bisher dass dextro-amphetamin, das klassische „Speed“.

Methamphetamin (metamfetamin) und d-amphetamin wurden als Weckamine, (Kaffeeersatz) und Appetitzügler sowie als Antidepressivas bereits vor dem 2. Weltkrieg in Dosierungen von 3 – 30 mg/Tag als Medikament (z.B. Pervitin®) oral eingesetzt. Die klinischen Erfahrungen mit der raschen Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung sowie der Auslösung von Psychosen auch in diesen „therapeutischen“ Dosierungen führte in Deutschland bereits 1942 zur BTMG-Unterstellung. Kristallines Methamphetamin gilt als schneller zu einem abhängigen Konsum führend, mit nachfolgend vermehrten psychiatrischen Komplikationen.

Häufig wird bei dem ersten, meist nasalen Methamphetaminkonsum bereits eine Dosis von fast 100 mg (Wirkstoffgehalt 80 – 90%) eingenommen, im Gegensatz zu dem „recreational“ Konsum von ca. 20 mg bei oralem Konsum von „Speedpillen“ in den 70er und 80er Jahren. Zunehmende Behandlungsnachfragen wurden ab 2010 z.B. aus den Suchthilfeeinrichtungen Sachsens berichtet. Methamphetamin wird in das präsynaptische Axon aufgenommen und wirkt dort über verschiedene Mechanismen neurotoxisch. Die Toleranzentwicklung entwickelt sich für die verschiedenen Transmittersysteme und Wirkbereiche mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die zur Erhaltung der Euphorie notwendigen hohen Dosierungen führen zu einer überreizten Wachheit bei gleichzeitiger körperlicher Erschöpfung. Um Schlaf anzustoßen entwickelt sich dann häufig ein polyvalentes Konsummmuster mit dem Übergang in Opiat- und Benzodiazepinkonsum.

Die Folgen: Frühe Überlegungen zu einer bereits in den 80er Jahren bei der XTC-Forschung postulierten Auslösung einer Parkinsonerkrankung durch ATS-Konsum wurden mittlerweile auch für therapeutische Dosierungen bestätigt.

In Bildgebungsstudien war eine Zuordnung der funktionellen Einschränkungen zu strukturellen bzw. metabolischen Veränderungen bestimmter Hirnbereiche möglich, was mit der klinischen Erfahrung korreliert. Trotz grundsätzlicher methodologischer Kritik an Bildgebungsstudien dürfen diese Befunde als gesichert gelten. Auch die Erfahrung der Angehörigen, einer im Verlauf des Konsums zunehmenden Gefühlskälte mit Verlust einer Empathiefähigkeit finden sich in ersten Untersuchungen plausible Korrelate.

Der in den Medien gerne bemühte Methmouth konnte auch bei deutschen Patienten nachgewiesen werden.

Postkonsum- bzw. Entzugssymptome: Durch Dopamin-, Noradrenalin- und Serotoninverbrauch sind die Symptome zu erklären: Anhedonie, Antriebslosigkeit, psychomotorische Verlangsamung im Wechsel mit hyperkinetischen Phasen, ein generelles Schwächegefühl, gereizt-depressive Stimmung mit reduziertem Selbstwertgefühl und Suizidgedanken sowie Kopfschmerzen, führen zum Craving und dem erneuten Konsum um o.g. Symptome zu lindern. Im Entzug sind vegetative Entgleisungen kaum zu erwarten, aber suizidale Ideationen häufig und im Praxisalltag zu berücksichtigen. Gesteigertes Hungergefühl führt zu einer häufig von Patientinnen nicht tolerierten Gewichtszunahme über das ursprüngliche Gewicht hinaus. Auch die Schlafstörungen sind Rückfallauslöser. Die Anhedonie und Antriebslosigkeit kann wegen der neuroadaptiven Prozesse und der Neurotoxizität über Monate bestehen bleiben. Therapiesettings sind an die hohe teils primäre, teils sekundäre Komorbidität wie Psychosen anzupassen.

Die Zunahme amphetamininduzierter Psychosen bei Auftreten des Methamphetamins in der Drogenszene wurde an verschiedenen Orten nachgewiesen. Auftreten und Verlauf scheinen wie die methamphetaminassoziierte Gewalttätigkeit abhängig von der Gesamtdosis zu sein. Bei der Behandlung der Methamphetaminpsychosen gibt es neben der klinischen Erfahrung auch Hinweise aus Tierversuchen eher auf Haloperidol zu verzichten. In der akutpsychotischen Phase sind Benzodiazepine hilfreich. Patienten mit einer drogeninduzierten Psychose profitieren subjektiv von einem 3-stündigen Psychoedukationsprogramm auch bereits auf einer beschützenden Station (nach Abklingen eines Erregungszustandes).

Beratung: Amphetaminpatienten gelten im intoxikierten Zustand wegen des Verlustes des Zeitempfindens und der zwanghaft anmutenden Fokussierung auf Banalitäten als wenig zuverlässig bezüglich Termineinhaltung. Für die ambulante Behandlung hat sich daher eine Terminvergabe innerhalb von 24h bewährt. Moderne Kommunikationsmittel mit Erinnerungs-SMS sowie Erinnerungsanrufen scheinen die Teilnahmequote zu verbessern.

Rehabilitation: Aus den USA liegen verschiedene Studien zu den Psychotherapieergebnissen vor. Eine Haltequote von 43% und 69% Punktabstinenz bei der 6-Monatskatamnese konnten im integrativen „Matrix“-Programm gezeigt werden. Sowohl kognitiv verhaltenstherapeutische und Community Reinforcement-Ansätze als auch das 12-Schritte-Programm erwiesen sich als wirksam. Kontingenz-Management (CM) war bei dem für die USA-typischen Sozialsystem jedoch genauso hilfreich, um während der Studienzeit drogenfreie Urintests zu erreichen.

Medikamentöse Behandlungsstrategien: In Metaanalysen blieben klassisch pharmakopsychiatrische Ansätze bisher nur von bescheidener Wirksamkeit für das Ziel der Abstinenz. Die häufig eingesetzten SSRIs werden nur bei vordiagnostizierter Depression empfohlen, die Haltequote war bei unzureichender Wirkung gegen Antriebsstörung und Anhedonie geringer als bei Placebo, was mit den Nebenwirkungen begründet wurde. Die Anhedonie im Methamphetaminentzug sei nicht mit der Anhedonie bei Major Depression vergleichbar, was in Abwägung der hauptsächlichen dopaminerg vermittelten Wirkung einleuchtend ist. Bupropion konnte in ersten Studien eine Wirksamkeit, allerdings auch nur bei nicht täglich konsumierenden Patienten zeigen. Naltrexon war gegenüber Placebo bezüglich Haltequote, Selbstangaben des Amphetaminkonsums und dies überprüfenden Drogenscreenings überlegen.

Dopaminanaloga/Amphetaminsubstitution?: Eine Reihe von Forschungsgruppen bemüht sich um die Dopamin-Analogabehandlung, d.h. Substitutionsbehandlung z.B. mit retardiertem Amphetaminsulfat. Erst in höheren Dosierungen scheint dies neben schadensminimierenden Erfolgen wie Einstellung des i.v.-Konsums auch zu einer Beigebrauchsreduktion zu führen. Methylphenidat (retardiert) zeigte in Studien bisher in den üblichen Dosierungen diesbezüglich keine ausreichende Wirksamkeit. Die Haltequote war gegenüber Placebo jedoch verbessert. Zur Milderung der Entzugssymptome im stationären Entzug ist Modafinil in ersten Studien hilfreich gewesen. Untersuchungen zum, nach klinischer Erfahrung wirksamen, Koffein fehlen. Bei weiterer Ausbreitung des Methamphetaminproblems könnte eine Dopaminanalogabehandlung (z.B Substitution mit retardiertem Amphetaminsulfat bzw. stationärer fraktionierter homologer Entzug mit Modafinil) in betroffenen Großstädten Ziel von Forschungsvorhaben werden. Bei immer kürzer werdenden Behandlungszeiten im stationären, qualifizierten Entzug könnte die Rehabilitationsfähigkeit ebenfalls durch vorübergehende Dopaminanalogabehandlung verbessert werden. Die Gefahr der Neurotoxizität, im Gegensatz zur Opiatsubstitution, muss bei der Amphetaminsubstitution jedoch genau abgewogen werden.

corr. Author: Dr. med. Roland Härtel-Petri, Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Nordring 2, 95445 Bayreuth, Germany