Zusammenfassung
Die ICD-10 bietet die Möglichkeit der Doppelverschlüsselung von Diagnosen bei den
funktionellen Störungen auf der einen, den somatoformen Störungen auf der anderen
Seite. Anhand von selektiven Routinedaten der Daimler BKK für die Jahre 2008–2010
wurden die Abrechnungshäufigkeiten spezifischer funktioneller Diagnosen denjenigen
der somatoformen Störungen gegenübergestellt, Zusatzdiagnosen erfasst und mit epidemiologischen
Daten verglichen. Ziel war, aus Abrechnungszifferperspektive die Diagnosestellung
beim routinemäßigen Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und
somatoformen Körperbeschwerden vergleichend abzubilden. Als ein Ergebnis zeigt sich,
dass sich die in epidemiologischen Untersuchungen gefundene Häufigkeit von somatoformen
Störungen in den vorliegenden Routinedaten nicht abbildet. Diejenige der funktionellen
zeigt gegenüber den somatoformen Störungen ein Übergewicht. Bestimmte Zusatzdiagnosen,
die Hinweise auf ätiologische Zusammenhänge liefern könnten, wurden kaum verwendet.
Bei aller Diskussionswürdigkeit der Validität, Reliabilität und Zielrichtung von ICD-10-Abrechungsdiagnosen
könnte sich eine versorgungsrelevante Schieflage andeuten. In dem Maße, in dem sich
in den ICD-10-Routinedaten auch die Fachgebietszugehörigkeit der jeweiligen Behandler,
Präferenzen von Patienten und ökonomische Gruppeninteressen abbilden, mögen nicht
leitliniengerecht getroffene Diagnosen und daraus abgeleitete medizinische Prozeduren
eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung verhindern.
Abstract
The ICD-10 offers the possibility of double coding of diagnoses in functional disorders
on the one hand, somatoform disorders on the other side. The current S3 guideline
for “dealing with patients with non-specific, functional and somatoform physical complaints”
states that “[...] in most cases, the specialty of the (initial) examiner and not
the clinical constellation seems to define how a diagnosis is made”. Based on selective
routine data of the Daimler BKK for the years 2008–2010 frequencies of specific functional
diagnoses were compared with those of somatoform disorders, additional diagnoses analyzed
and compared with epidemiological data from the Federal Health Monitoring System.
The incidence found in epidemiological studies of somatoform disorders cannot be found
in present routine data. Functional disorders were more frequently diagnosed than
somatoform disorders. Certain additional diagnoses that may provide clues to etiological
relations are rarely used. As the validity, reliability and purpose of ICD-10 invoicing
diagnoses is debatable, there seems to be an imbalance relevant for the health care
system. Non-adherence to the guidelines may prevent adequate quality and quantity
of patient care.
Schlüsselwörter
somatoforme Störung - funktionelle Störung - Routinedaten - ICD-10 - Doppelklassifikation
Keywords
somatoform disorders - functional disorders - routine data - ICD-10 - dual classification