Aktuelle Ernährungsmedizin 2015; 40 - O2_3
DOI: 10.1055/s-0035-1550173

Kalorienzufuhr und Überlebenswahrscheinlichkeit von Intensivpatienten

W Hartl 1, D Kuppinger 1, A Bender 2, F Scheipl 2, H Küchenhoff 2, D Heyland 3
  • 1Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Thoraxchirurgie, Campus Großhadern, LMU München
  • 2Institut für Statistik, LMU München
  • 3Clinical Evaluation Research Unit, Kingston General Hospital, Kingston, Ontario, Canada

Hintergrund: Der Einfluss der Höhe der Kalorienzufuhr auf die Sterblichkeit von Intensivpatienten ist nicht genau bekannt. Ergebnisse von kontrollierten Studien sind widersprüchlich, alle bisherigen beobachtenden Studien sind durchwegs von angreifbarer methodischer Qualität und berücksichtigen nicht zeitvariierende Effekte der künstlichen Ernährung bzw. deren variable Zufuhr in Abhängigkeit vom Beobachtungszeitpunkt. Die vorliegende Studie wurde mit dem Ziel konzipiert, diese Mängel zu überwinden.

Methoden: Die prospektive multizentrische Beobachtungsstudie (737 ICU in 33 Ländern) rekrutierte 9546 kritisch kranke Patienten und untersuchte den Einfluss verschiedener täglicher Kalorienmengen auf die 60-Tages-Letalität. Für die Überlebenszeit-Analyse wurden zeitvariierende Ernährungs-Effekte mittels erweiterter Cox PH Modelle geschätzt. Auf der Basis von Zeitreihenanalysen wurden sogenannte expositionsverzögerte Reaktions-Assoziationen geschätzt. Eine Vielzahl von ernährungsmedizinischen Konzepten (hypothetischen Ernährungsprotokolle) konnte mittels abschnittsweise exponentieller Modelle berechnet werden. Die ernährungsmedizinischen Effekte wurden an eine Vielzahl von Konfoundern adjustiert.

Ergebnisse und Diskussion: Die 60-Tages-Letalität betrug 26,1%. Im Vergleich zu einer stark hypokalorischen Ernährung (Kollektiv 1: Tag 1 bis 11: ≈ 7 kcal/kg d) verbesserte eine moderat hypokalorische Ernärung (Kollektiv 2: Tag 1 bis 11: ≈ 17 kcal/kg d) in der Akutphase nach Aufnahme auf die Intensivstation die Prognose signifikant (p < 0,001, Abb., oberes Panel). Ein gestaffeltes Konzept (Tag 1 bis 4: ≈ 7 kcal/kg d, Tag 5 bis 11: ≈ 17 kcal/kg d) ergab jedoch keinen Überlebensvorteil. Ebenso ergab sich kein weiterer Vorteil, wenn eine durchgehende, moderat hypokalorischen Ernährung (Tag 1 bis 11: ≈ 17 kcal/kg d) mit einer durchgehend isokalorischen Ernährung (Kollektiv 3: Tag 1 bis 11: ≈ 24 kcal/kg d) verglichen wurde (Abb., unteres Panel). Die Ergebnisse erwiesen sich gegenüber zahlreichen Sensitivitätsanalysen als robust.

Schlussfolgerung: Unselektionierte kritisch kranke Patienten scheinen in der Frühphase nach Homöostasestörung am ehesten von einer moderat hypokalorischen Ernährung zu profitieren. Eine isokalorische Ernährung führt zu keiner weiteren Letalitätsverbesserung.

Interessenkonflikte: WH Hartl has received grants (#F1K-MC-EVDP, #F1K-MC-EVCM) from Eli Lilly, Indianapolis, Indiana 46285, USA; grants (#BR-0049-BBM) from B. Braun, Melsungen, Germany; grants (#94-0737-004) from Pharmacia & Upjohn, Erlangen, Germany; and grants from the Bristol-Myers Squibb Foundation, New York, New York 10154, USA