Klinische Neurophysiologie 2015; 46(02): 110
DOI: 10.1055/s-0035-1548894
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

EinBlick ins Gehirn – Psychiatrie als angewandte klinische Neurowissenschaft

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Publication Date:
30 June 2015 (online)

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Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Zusammenhänge gewinnen für die Psychiatrie des 21. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung und werden daher nicht nur für die psychiatrische Ausbildung, sondern auch für die tägliche klinische Arbeit immer wichtiger.

Das jetzt in der 3., aktualisierten und erweiterten Auflage vorliegende Werk „EinBlick ins Gehirn“ von Dieter F. Braus hat den Anspruch, diesen Entwicklungen gerecht zu werden, indem es ganz gezielt Bezüge zwischen aktuellen Forschungsergebnissen und der klinischen Praxis herstellt.

Das Buch versteht sich bewusst als „eine andere Einführung in die Psychiatrie“ (so auch der Subtitel der 2.Auflage von 2011) und richtet sich an Ärzte der Fachdisziplinen Neurologie und Psychiatrie, klinisch tätige Psychologen und Psychotherapeuten sowie interessierte Mitarbeiter anderer medizinischer Berufsgruppen.

In den ersten der insgesamt 6 Kapitel werden zunächst neurowissenschaftliche Grundlagen unter Würdigung aktueller Erkenntnisse aus Molekularbiologie, Tiermodellen und bildgebenden Verfahren vermittelt: Nach einem einleitenden Kapitel sind die folgenden beiden der „Hirnentwicklung und Neuroanatomie“ sowie der „Plastizität als biologische Grundlage der Veränderung“ gewidmet. Im vierten Kapitel wird sehr umfassend und vielschichtig auf die „Bedeutung der Grundlagenforschung für die Psychiatrie des 21.Jahrhunderts“ eingegangen, wobei nicht nur genetische und tierexperimentelle Erkenntnisse der Grundlagenforschung, sondern auch wichtige Befunde aus sozialen Neuro- und Kognitionswissenschaften aufgegriffen werden.

Von besonderem Interesse für den klinisch Tätigen dürfte das fünfte Kapitel sein, welches die Relevanz ausgewählter neurobiologischer Befunde für die psychischen Erkrankungen ADHS, Schizophrenie, affektive Störungen, Demenzen, Suchterkrankungen und Zwangsstörungen, strukturiert und prägnant darstellt.

Das abschließende sechste Kapitel wagt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen in der modernen Psychiatrie, wobei auch alltagsrelevante Themen wie z. B. die Einführung des pauschalierten Entgeltsystems aufgegriffen oder ein vom Autor auch jedem Behandler empfohlenes „Basisprogramm für psychische Gesundheit“ skizziert werden.

Das Buch überzeugt mit einem systematisch strukturierten Aufbau und einer durchgehend guten Lesbarkeit. Der Autor versteht es insbesondere, die teilweise sehr komplexen und von manchem Leser sicher auch als eher „trocken“ und theorielastig empfundenen Sachverhalte prägnant und gut verständlich darzustellen.

Ansprechend ist zudem die didaktische Gestaltung: Zahlreiche Abbildungen, Tabellen und sehr anschauliche Grafiken illustrieren den Textteil. Darüber hinaus ermöglichen eingeschobene, farblich akzentuierte Merkhilfen eine rasche Rekapitulation wichtiger Fakten und Zusammenhänge.

Sehr erfrischend wirkt auch die Ergänzung der Kapitel um zusätzliche, inhaltlich jeweils in sich abgeschlossene Textboxen, welche im erweiterten Kontext der jeweils abgehandelten Thematik so unterschiedliche und aktuelle Themen wie die „Plastizität von Influenzaviren und Ignoranz – Wissenschaft in den Medien“, „Klimakonferenzen und Naturerleben“, „Gesellschaftsproblem Adipositas“ oder „Der Fall Robert Enke und die männliche Depression“ aufgreifen.

Das Buch erhebt, wie vom Autor auch explizit betont, nicht den Anspruch, ein Lehrbuch zu ersetzen, sondern verfolgt den Ansatz, die Fülle aktueller neurowissenschaftlicher Daten und Erkenntnisse in prägnanter und verständlicher Weise aufzubereiten und diese dabei in engen Bezug zu praktischen Aspekten des Fachgebietes bzw. häufigen psychiatrischen Erkrankungen zu setzen. Der Autor versteht es in überzeugender Weise, Interesse für eine erste Beschäftigung mit dem Thema zu wecken und den Leser zugleich zum Vertiefen anhand der Originalarbeiten einzuladen, wobei sich das sehr umfangreiche und auch optisch angenehm strukturierte Literaturverzeichnis als äußerst wertvoll erweist.

Die Lektüre dieses kurzweiligen Buches kann jedem in der Psychiatrie Tätigen als ein inspirierender „Blick über den Tellerrand“ absolut empfohlen werden.

Claudia Wenzel, Stuttgart