ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2015; 124(03): 108-117
DOI: 10.1055/s-0035-1547447
Fortbildung – Kieferorthopädie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teenagerbehandlung mit Invisalign – 2 Fallberichte[*]

B. Reistenhofer
1   Wien
,
S. Lehner
1   Wien
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
11 March 2015 (online)

Teenagerbehandlungen stellen eine besondere Herausforderung im Hinblick auf Zahnhygiene und Compliance dar. Für viele Anomalien und Fehlstellungen ist Invisalign Teen eine neue Behandlungsalternative. Die Entscheidung, welche Art der Therapie die richtige für den Patienten ist, wird mit den Eltern/Erziehungsberechtigten gemeinsam getroffen. Da der Wunsch nach einer Behandlung mit Alignern immer mehr zunimmt, werden im vorliegenden Beitrag die Vor- und Nachteile bei einer Behandlung von Patienten mit Invisalign Teen vorgestellt.

Aligner sind aus der kieferorthopädischen Praxis nicht mehr wegzudenken. Die Nachfrage steigt. Die Anfänge dieser Behandlungsmethode stellten Rezidivbehandlungen und mäßige Fehlstellungen bei Erwachsenen dar.

Seit 2009 steht diese Alternative nicht mehr nur Erwachsenengebissen bzw. Patienten mit abgeschlossenem Zahnwechsel zur Verfügung. Mit der Einführung von Invisalign Teen® setzte sich für eine weitere Patientengruppe diese Therapieoption durch. Heutzutage bietet sie in vielen Fällen eine echte Alternative zu konventionellen Multiband-Behandlungen.

Die Entscheidung zwischen einer Behandlung mit Invisalign und einer herkömmlichen Therapie im Wechselgebiss ist nicht immer einfach.

Für den Beginn einer Invisalign-Teen-Behandlung sollten die ersten Prämolaren und ersten Molaren schon vollständig durchgebrochen sein, um die Okklusionsebene einstellen zu können.

Die Aligner können, abhängig vom jeweiligen Therapieplan, als Ein-Phasen-Behandlung oder als 2. Phase einer 2-Phasen-Behandlung eingesetzt werden. Die 2-Phasen-Behandlung stellt eine Kombination aus einer abnehmbaren und anschließenden festsitzenden Therapie dar. Bei der 2-Phasen-Therapie wird mit einer aktiven Plattenapparatur und/oder einem funktionskieferorthopädischen Gerät die Entwicklung der Kiefer unterstützt bzw. die Bisslage verbessert. Nach abgeschlossener Dentition können Einzelzahnfehlstellungen mittels festsitzender Spange korrigiert werden. Alternativ dazu kann eine umfassende Ein-Phasen-Therapie indiziert sein. Bei dieser Option wird ohne eine 1. Behandlungsphase mit abnehmbaren Geräten gleich mit Invisalign Teen therapiert. Es werden in einer Therapiephase mithilfe der Aligner Einzelzahnfehlstellungen beseitigt und zugleich die Verzahnung optimiert. Die Möglichkeit, Gummizüge bereits ab den ersten Schienen einzuhängen, erweitert das Spektrum vor allem bei Klasse-II-Behandlungen. Bei Jugendlichen in der Wachstumsphase kann man somit die Vorverlagerung des Unterkiefers durch das Tragen der Gummizüge in den Schienen stimulieren und zusätzlich die Seitzähne im Oberkiefer sequentiell distalisieren. Ein Vorteil bei einer Korrektur eines Distalbisses mittels Schienen und Gummizügen ist die Torquekontrolle der unteren Schneidezähne. Aus klinischer Erfahrung bleibt die unerwünschte Protrusion, die oft beim Einsatz von Klasse-II-Apparaturen beobachtet wird, aus.

Die Schienen ermöglichen den Teenagern ihre gewohnte Mundhygiene aufrechtzuerhalten. Die Speisen bzw. Reste können sich nicht in Drähten und Brackets verfangen. Auch allergische Reaktionen auf Metalle, die in Drähten und Brackets enthalten sind, können so vermieden werden.

Viele Kinder pflegen mitunter einen sehr aktiven Lebensstil. Neben sportbegeisterten Jugendlichen gibt es auch die Gruppe der musisch begabten, die sich oft für eine Schienen-Behandlung entscheiden. Um perfekte Töne zu erzeugen, können die Schienen beim Spielen der Trompete oder sonstigen Blasinstrumenten herausgenommen werden.

Die Anwendung von Invisalign im Wechselgebiss erfordert eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung des Kieferorthopäden mit Alignertherapien. Um die Behandlung von Patienten mit Wechselgebissen zu erleichtern, werden spezifische Zusatzfunktionen angeboten.

Um den durchbrechenden Eckzähnen den Weg zu erleichtern, und trotzdem den natürlichen Gingivaverlauf zu sichern, kann man die Invisalign-Teen-Aligner mit einer sogenannten Canine guidance ausstatten. Diese führen die nachkommenden Zähne in die gewünschte und dafür vorgesehene Position ohne Extrusionskräfte.

Es kann aus diesem Tool aber auch ein gewisser Nachteil entstehen. Nicht immer brechen die Eckzähne in der prognostizierten Position durch. Teilweise gelingt es den Zahn noch „einzufangen“ und in die gewünschte Position zu bringen, in manchen Fällen kann es nötig werden eine Mid course correction durchzuführen. Bei einer Mid course correction wird der Fall nochmals, mit einer aktuellen Ist-Situation, gestartet. Es müssen neue Fotos, ein neuer Scan oder Abdruck angefertigt und der Clin Check neu bearbeitet werden, was Zeit- und Arbeitsaufwand bedeutet. Durch das Bestellen neuer Schienen fallen aber keine zusätzlichen Kosten an.

Ein weiterer Vorteil von Invisalign Teen stellt die Möglichkeit dar, Zungen, sogenannte Terminal Molar Tabs, für die nachkommenden 2./3. Molaren zu einem beliebigen Zeitpunkt einsetzen zu können. Diese Zungen verhindern die Elongation dieser nachkommenden Zähne und somit auch eine unerwünschte Bissöffnung ([Abb. 1]). Falls die Zähne am Beginn der Behandlung noch nicht durchgebrochen sind, hat man die Möglichkeit Terminal Molar Tabs zeitversetzt einzusetzen.

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Abb. 1 Ansicht von Invisalignschienen® mit Terminal Molar Tabs distal der Sechsjahrmolaren (© 2013 Align Technology Inc.).

Um die Compliance der Teen-Patienten und den exakten Sitz der Schienen kontrollieren zu können, gibt es zusätzlich einen Compliance-Indikator, der an der Oberkieferschiene am letzten Zahn bukkal angebracht ist. Anhand der Farbe des Indikators kann man die Tragedauer abschätzen und die Jugendlichen motivieren [1] [2] ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Anhand des Diffusionsgrades der blauen Lebensmittelfarbe im Compliance-Indikator lässt sich die Tragedauer abschätzen und die Motivation steigern (© 2013 Align Technology Inc.).

Im Falle eines verlorenen Aligners besteht die Möglichkeit, diesen maximal 6 Mal kostenlos nachzubestellen. Der Praxisalltag zeigt ein hohes Verantwortungsbewusstsein der Teenager, sodass man davon nur in seltenen Fällen Gebrauch machen muss.

Die Schienen ermöglichen den jugendlichen Pa­tienten ihre Zähne wie gewohnt zu putzen und die Patienten benötigen keine speziellen Hilfsmittel. Ein Risiko von Dekalzifikationen, Karies und Gingivitis wie bei Non-Compliance-Apparaturen (Brackets, Bänder) [3] wird gegen ein ­Risiko von schlecht sitzenden Schienen (bei Motivationslücken) getauscht.

Gummizüge können bei einer Therapie mit Alignern früher benutzt und damit z. B. das Wachstum ohne Zeitverlust ausgenutzt werden. Schon ab der 1. Schiene können Elastics getragen werden. Die Gummizüge können entweder an den Schienen, oder für einen noch stärkeren Effekt, an den Zähnen selbst mittels geklebten Buttons befestigt werden ([Abb. 3] [4]).

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Abb. 3 Die intermaxillären Gummizüge werden bei diesem Modell an der Oberkieferschiene und im Unterkiefer am Molaren mithilfe eines geklebten Knöpfchens befestigt (© 2013 Align Technology Inc.).
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Abb. 4 Ansicht von vorgefertigten Ein- bzw. Ausschnitten der Aligner für die Befestigung von intermaxillären Gummizügen. Bei den Elastic hooks werden die Gummiringe direkt in die Schiene eingehängt, ein Button cutout dient als Aussparung, um ein Knöpfchen für Gummizüge am Zahn direkt befestigen zu können (© 2013 Align Technology Inc.).

Durch das Tragen der intermaxillären Gummizüge kann ein sogenannter Bite Jump im Clin check simuliert werden. Auch hier kann ein gewisser Nachteil resultieren, da es schwierig ist, den funktionskieferorthopädischen Effekt zu prognostizieren.

Seit Einführung eines neuen Aligner-Materials bei Invisalign ist die Krafteinwirkung konstanter und die Relaxation der Schienen setzt nicht mehr durch die Anzahl der getragenen Stunden ein.

Der konventionellen Alginat/PVS Abdruck wird zunehmend von intraoralen Scannern abgelöst. Neben dem Patientenkomfort bietet die Präzision des gescannten Modells eine erhöhte Passgenauigkeit und damit eine erhöhte Präzision im Ergebnis. Durch den digitalen Transfer des Modells spart man Zeit und die Aligner werden somit rascher geliefert, was gerade bei Teen-Fällen ein wichtiger Faktor ist. Vergeht nach einem Abdruck oder Scan zu viel Zeit, kann es sein, dass man bei der Übergabe der bestellten Schienen eine veränderte Situation vorfindet, weil die Eckzähne oder Prämolaren bereits teilweise oder gänzlich durchgebrochen sind. In diesem Fall ist ein neuer Scan oder Abdruck nötig. Die Schienen können im Rahmen der Aligner-Passform-Garantie bestellt werden.

Da sich ein Wechselgebiss rasch verändert, wird empfohlen für die Wartezeit eine Retentionsschiene anzufertigen, die die Situation in situ hält und nebenbei den Patienten schon zum Einüben dienen kann. Alles in allem bieten Aligner eine gute Alternative zur konventionellen Multiband-Apparatur.

* Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in Inf Orthod Kieferorthop 2013; 45: 243-252


 
  • Literatur

  • 1 Schott T, Göz G. Color fading of the blue compliance indicator encapsulated in removable clear Invisalign Teen® aligners. Angle Orthod 2011; 81: 185-191
  • 2 Tuncay OC, Bowman S, Nicozisis J et al. Effectiveness of a compliance Indicator for Clear Aligners. J Clin Orthod 2009; 43: 263-271
  • 3 Lovrov S, Hertrich K, Hirschfelder U. Schmelzdemineralisationen während festsitzender kieferorthopädischer Behandlung. J Orofac Orthop 2007; 68: 353-363
  • 4 Lagravere MO, Flores-Mir C. The treatment effects of Invisalign® orthodontic aligners: A systematic review. J Am Dent Assoc 2005; 136: 1724-1729