Gesundheitswesen 2015; 16 - V36
DOI: 10.1055/s-0035-1546876

Lehrergesundheit – individuelle und systemische Aspekte zwischen Flow und Burnout: berufsbezogene Präventions- und Behandlungsansätze und die Rolle des Amtsarztes

A Hillert 1
  • 1Schön Klinik Roseneck, Chefarzt, Prien, Deutschland

Entgegen der verbreiteten Annahme ist nicht belegt, dass Belastungen des Lehrerberufes zu einer erhöhten Rate insbesondere auch psychischer Erkrankungen führen. Burnout-Erleben und die bis etwa 2004 sehr hohen, anschließend vor dem Hintergrund erhöhter Versorgungsabschläge deutlich rückläufigen Frühpensionierungszahlen werden vielmehr auf komplexe Weise durch soziale und beamtenrechtliche Rahmenbedingungen beeinflusst. Entsprechendes gilt es angesichts der grundsätzlichen systemisch-interaktionellen Problematik sozialmedizinischer Gutachten im Allgemeinen und der Frage nach der Tragfähigkeit des von Lehrern wie Ärzten in diesem Kontext oft zugrunde gelegten Burnout-Phänomens zu diskutieren. Psychisch erkrankte Lehrer sind unter den Patienten psychotherapeutischer Kliniken häufig. Die meisten von ihnen, entsprechend den 2012 in der Schön Klinik Roseneck erhobenen Daten, kommen aufgrund von Depressionen (76,8%) zur Aufnahme, 67,9% können nach 4 – 6 Wochen mit signifikant verbesserten Depressionswerten entlassen werden. Mit Blick auf die von vielen Lehrer-Patienten (> 60%) als für ihre Erkrankung (mit-)entscheidend erlebten beruflichen Belastungen bietet es sich an, im Rahmen der Behandlung an, ergänzend zu einer fachgerechten symptombezogenen Therapie, berufsbezogene Therapiebausteine einzusetzen. AGIL (Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf) ist ein speziell auf die Belastungen von Lehrpersonen hin ausgerichtetes Gruppentherapie- bzw. Präventionsprogramm. Behandlungseffekte von AGIL werden anhand einer kontrollierten Studie bei psychosomatisch erkrankten Lehrkräften berichtet. Ergänzend werden Ergebnisse einer Präventionsstudie mit einem modifizierten AGIL-Programm dargestellt: erhöht belastete Lehrer (indizierte Prävention) berichten im Verlauf eine deutliche Reduktion subklinischer Depressionssymptome (d = 0,58), die auch nach 12 Monate (Katamnese) nachweisbar sind. Strategien des professionellen Stressmanagements sollten Bestandteil der Lehrerausbildung bilden und berufsbegleitend trainiert werden. Eine die speziellen beruflichen Belastungen nicht berücksichtigende Behandlung von Lehrkräften ist insuffizient. Letztlich werden aber nur Ansätzen, die darüber hinaus die sich aus den systemischen Gegebenheiten für Lehrpersonen ergebenden Konstellationen berücksichtigen, von der Ausbildung, über die berufsbegleitende gesundheitsbezogene/supervisorische Betreuung bis zu der vom Arbeitgeber zu leistenden Fürsorgepflicht wenn Unterrichtstätigkeit nicht oder nur eingeschränkt möglich ist (diesbezüglich beispielhaft ist das CARE-Projekt des niedersächsischen Kultusministeriums), der komplexen Problematik bzw. den individuellen wie gesellschaftlichen Aspekten des Themas Lehrergesundheit gerecht. Kriterien, Handlungsspielräumen und Perspektiven der amtsärztlichen Betreuung und sozialmedizinischen Begutachtung von erkrankten Lehrerinnen und Lehrern wird vor diesem Hintergrund diskutiert.