Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2015; 12(04): 186-187
DOI: 10.1055/s-0034-1398271
Aktuell diskutiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Berlin, 23. Oktober 2015 – Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) zur Begleitinformation Mammografie-Früherkennung

Rüdiger Schulz-Wendtland
,
Diethelm Wallwiener
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 January 2016 (online)

Wir bedanken uns für die erneute Möglichkeit, eine Stellungnahme abgeben zu können. Wir sind erfreut, dass im Merkblatt Änderungen durchgeführt worden sind, die unseres Erachtens zu einer verbesserten Darstellung der Thematik „Mammografie-Screening“ geführt haben. Dennoch besteht unserer Meinung nach weiterhin Überarbeitungsbedarf für das Merkblatt wie in folgenden Punkten dargestellt:

1. Die Korrektur hin zu 2 bis 3 vermiedenen Todesfällen begrüßen wir. In der Darstellung der Zahlen, wie viele Frauen vor dem Tod durch Screening bewahrt werden, ist jedoch im Text auf Seite 6 ein Fehler aufgetreten. Hier ist von 1 bis 2 Frauen die Rede, während in der Grafik auf Seite 7 (Vermiedene Todesfälle und Überdiagnosen), 2 bis 3 Frauen genannt werden, die vor dem Tod bewahrt werden. Wir bitten dringend um Korrektur der Textstelle.

2. Leider werden die verwendeten Zahlenangaben zu Brustkrebssterblichkeit und Überdiagnosen weiterhin in einem Zeitraum von 10 Jahren angeben und nicht wie in unserer letzten Stellungnahme empfohlen, mit 20 Jahren (Seite 6). Wir weisen erneut daraufhin, dass wir es für unabdingbar halten, dass eine Screening berechtigte Frau die möglichen Effekte des Screenings im Kontext ihrer noch zu erwartenden Restlebenszeit versteht. Die Restlebenszeit ist bei einer Frau, die mit 50 Jahren mit dem Screening beginnt, statistisch gesehen deutlich mehr als 10 und wahrscheinlich auch mehr als 20 Jahre. Dieses ist mit der Angabe eines 10-Jahres-Zeitraums nicht gegeben. Das Mammografie- Screening-Programm ist auf 10 Runden in 20 Jahren ausgelegt und nicht nur auf 5 Runden. Da es gerade beim Mammografie- Screening um Langzeiteffekte und weniger um Kurzzeiteffekte geht, ist der 20-Jahres-Zeitraum für die Patientinneninformation anzusetzen. Nur einen 10-Jahres-Zeitraum darzustellen, könnte auf der Seite der Frauen zu einer Unterschätzung von möglichem Nutzen und ggf. möglichem Schaden führen. Methodisch anzumerken ist, dass Projektionen auf längere Zeiten durchaus üblich sind. Beispiele sind die Ermittlung der (fernen) Lebenserwartung, der Lebenszeitinzidenz für Erkrankungen oder der jetzt übliche Periodenansatz bei Überlebenszeitanalysen. Falls es bei dem 10-Jahres-Zeitraum bleibt, empfehlen wir mit Nachdruck eine Darstellung im Merkblatt über die unterschiedliche und altersabhängige Mortalitätsreduktion des Mammografie-Screenings von 50- bis 59-jährigen im Vergleich zu 60- bis 69-jährigen Frauen. Frauen sollten darüber informiert sein, dass das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, mit dem Alter steigt, aber damit auch der positive Effekte der Mortalitätssenkung. Als Quelle empfehlen wir dazu die Arbeit von Pace et al. 2014, in der eine mittlere Gesamtmortalitätsreduktion durch das Screening von 19% beschrieben wird. Die Mortalitätsreduktion steigt dabei mit zunehmenden Alter von 15% für Frauen in den 40igern auf 32% für Frauen in den 60igern [1].

3. Weiterhin fehlt im Merkblatt ein Hinweis darüber, dass die erstellten Daten für dieses Merkblatt überwiegend aus Studien stammen, die in den 60iger- bis 80iger-Jahren durchgeführt wurden. Ob die Daten der alten Studien sich auf das heutige Mammografie-Screening übertragen lassen, ist unklar. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass sich zum einen die Technik der Mammografie in den letzten 40-50 Jahren offensichtlich deutlich weiterentwickelt und verbessert hat und es zum anderen aber auch in der Therapie des Mammakarzinoms immense Fortschritte gegeben hat. Dies sind wichtige Informationen für eine kritische Auseinandersetzung mit den vorgelegten Daten, die man den Screening berechtigten Frauen nicht vorenthalten darf.

4. Mit dem Aufgeben der Bedeutung einer bevölkerungsbezogenen Teilnahmerate eines Screening zugunsten der informierten Entscheidung für oder gegen das Screening, verliert der bevölkerungsbezogene Effekt eines Screenings seine Bedeutung zugunsten des Effekts für die individuelle Teilnahme. Aus unserer Sicht wird der Effekt der Mortalitätsreduktion im Faltblatt mit den genannten Studien im Rahmen von Intention-to-treat-Analysen auf Basis der eingeladenen Frauen berichtet, d.h. dass in der Screeninggruppe bei Teilnahmeraten von 65-85% ein großer Teil der ausgewerteten Frauen gar nicht gescreent wurde. Damit ist der berichtete Effekt als konservativer Effekt (Minimaleffekt) zu bezeichnen und so im Merkblatt „als konservative Schätzung“ zu kommunizieren. Idealerweise würden für die Teilnehmerinnen am Screening der Effekt aus der per-protocol-Analyse berichtet, dieser ist näher am Effekt für die tatsächliche Teilnahme.

5. Auf Seite 1 des Merkblattes ist weiterhin die Definition des Screening nicht korrekt und eher missverständlich dargestellt („Screening bedeutet,…“). Screening ist die Suche nach einer Erkrankung in einer definierten Bevölkerung mittels einer bestimmten Untersuchung. Wir bitten um Anpassung.

6. Bei der Erläuterung zum Thema Überdiagnosen (Seite 5 des Merkblattes) fehlt weiterhin eine Anmerkung, dass bei der Diagnose eines histologisch malignen Befundes zu diesem Zeitpunkt nicht abgesehen werden kann, ob sich der Tumor aggressiver verhalten wird, bis zum Tode ruhen wird, oder sich sogar zurückbildet. Daher sind alle malignen Befunde auch behandlungsbedürftig. Das bringt die Gefahr einer Über-Behandlung mit sich, dennoch kann momentan für keine Frau individuell vorausgesagt werden, ob eine Therapie nötig oder unnötig ist. Momentan bleibt daher keine andere Empfehlung als eine Behandlung.

7. Leider ist der Informationskasten mit den Themen „ Was ist Brustkrebs und wie häufig ist er?“ weggefallen. In einem Merkblatt über Früherkennung sollte eine Darstellung über die zu screenende Erkrankung und dessen Häufigkeit enthalten sein. Für Frauen muss, damit sie überhaupt zu einer Entscheidungsfindung kommen können, doch klar sein, um was für eine Erkrankung es sich überhaupt handelt und ob diese häufig ist oder nicht.

Wir verweisen zur Darstellung der entsprechenden Daten auf unsere letzte Stellungnahme aus dem April 2015, in dem wir eine altersabhängige Darstellung des Erkrankungsrisikos nach entsprechender Screening-Altersgruppe empfehlen würden (Frauen mit 50 und 60 Jahren, siehe dazu Daten des RKI 2007/2008 [2]).

Die Stellungnahme wurde von Herrn Prof. Dr. Alexander Katalinic und Frau Dr. Maria Raili Noftz, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität Lübeck erstellt.

 
  • Literatur

  • 1 Pace LE, Keating NL. A systematic assessment of benefits and risks to guide breast cancer screening decisions. JAMA 2014; 311: 1327-1335
  • 2 Robert Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V (Hrsg.) Krebs in Deutschland 2007/2008. 8. Ausgabe. Berlin: Robert Koch-Institut; 2012