Z Geburtshilfe Neonatol 2015; 219(4): 159-160
DOI: 10.1055/s-0034-1397899
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Neonatologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entwicklung – Pädagogen wissen zu wenig über Folgen der Frühgeburtlichkeit

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Publication Date:
26 August 2015 (online)

Hintergrund: Aufgrund der verbesserten Überlebensraten sehr unreifer Frühgeborener (< 26 SSW) sowie der steigenden Rate „später“ Frühgeburten (34–36 SSW) wird in den kommenden Jahren der Anteil ehemaliger Frühgeborener unter den schulpflichtigen Kindern zunehmen. Diese Kinder benötigen häufig aufgrund kognitiver und sozialer Defizite eine intensivere Förderung. Johnson et al. haben untersucht, wie gut britische Pädagogen über die Auswirkungen der Frühgeburtlichkeit auf die Entwicklung der Kinder informiert sind, und ob sie sich den Anforderungen, die die schulischen Betreuung dieser Kinder an sie stellt, gewachsen fühlen.

Methoden: Britische Lehrer und Schulpsychologen wurde eingeladen, an einer Online-Umfrage zur schulischen Betreuung ehemaliger Frühgeborener teilzunehmen. 585 Lehrer und 212 Psychologen beantworteten daraufhin den Fragenkatalog der validierten „Preterm Birth Knowledge Scale“ (PB-KS). Der Kenntnisstand des Lehrpersonals bezüglich der Auswirkungen der Frühgeburtlichkeit wurde hierbei anhand einer Skala von 0 bis 33 Punkten objektiviert. Der Einfluss demographischer Faktoren auf das Wissen der Lehrkräfte sowie die Notwendigkeit für zusätzliche Schulungsmaßnahmen wurden ebenfalls evaluiert.

Ergebnisse: Die in die Analyse eingeschlossenen Lehrkräfte waren überwiegend weiblich, hatten eine abgeschlossenen pädagogische Ausbildung und betreuten Kinder im Alter zwischen 3 und 18 Jahren. Die Lehrer hatten einen signifikant geringeren durchschnittlichen Wissensstand als die Psychologen (PB-KS-Score 14,7; SD 5,5; range 0–27 vs. 17,1; SD 5,0; range 1–28; p < 0,001). Beide Berufsgruppen hatten zudem einen signifikant geringeren Wissensstand als eine Kohorte klinisch tätiger Neonatologen, die im Rahmen einer früheren Erhebung untersucht worden waren (n = 70; mittlerer Score 26,0; SD 3,6; p < 0,001). In der multivariaten Analyse konnte für die Parameter „weibliches Geschlecht“, „Lehrtätigkeit in einer Schule mit sonderpädagogischer Förderung“ sowie „Berufserfahrung ≥ 16 Jahre“ eine unabhängige Assoziation mit höheren Wissens-Scores nachgewiesen werden. Die größten Wissensdefizite des Lehrpersonals betrafen diejenigen Bereiche, in denen ehemalige Frühgeborene besonderer Förderung bedürfen (Mathematik, Aufmerksamkeit, soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen). Obwohl 90 % der Befragten es als ihre Aufgabe ansahen, ehemalige Frühgeborene während ihrer schulischen Ausbildung adäquat zu fördern, fühlten sich nur 38 % dieser Aufgabe gewachsen, und nur 16 % hatten eine spezielle Schulung diesbezüglich erhalten. Bei mehr als 80 % der Befragten bestand Bedarf für zusätzliche Informationen.

Fazit

Obwohl die schulische Betreuung ehemaliger Frühgeborener primär von Lehrern und Schulpsychologen geleistet wird, wissen die meisten Pädagogen – so die Ergebnisse der britischen Studie – zu wenig über mögliche Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten dieser Kinder. Nur wenige Lehrer fühlen sich bezüglich der Förderung der Kinder gut ausgerüstet. Es muss daher angenommen werden, dass ehemalige Frühgeborene nicht die schulische Förderung erhalten, die sie für eine optimale akademische Entwicklung benötigen. Dies, so die Einschätzung der Autoren stellt eine bedeutende gesundheits- und bildungspolitische Problematik dar. Sie fordern umfassende theoretische und praktische Schulungsmaßnahmen, um einer Überforderung der Lehrkräfte entgegen zu wirken.

Dr. Judith Lorenz, Künzell