Z Gastroenterol 2015; 53(4): 342-343
DOI: 10.1055/s-0034-1397670
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar

J. Felber
,
A. Stallmach
,
D. Schuppan
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Publication Date:
16 April 2015 (online)

Herr Dr. Mitlehner problematisiert in seinem Leserbrief die existierenden Unsicherheiten bei der Diagnosestellung der Nichtzöliakie-Nichtallergie-Weizensensitivität („non-coeliac gluten sensitivity“, NCGS). Dabei kritisiert er insbesondere die seiner Meinung nach nicht gesicherte Existenz, die unklare Ursache der Erkrankung, das fehlende pathologische Korrelat und die Schwierigkeiten eine in der S2k-Leitlinie empfohlene doppelblinde Weizenprovokation auch tatsächlich durchzuführen.

Grundsätzlich müssen Empfehlungen in Leitlinien evidenzbasiert sein; auch ist ihre Anwendbarkeit in der tagtäglichen Praxis für eine hohe Adhärenz zur Leitlinie von großer Bedeutung. Insofern ist die Stellungnahme grundsätzlich wichtig; wir möchten für das kritische Hinterfragen danken und zu den vorgebrachten Punkten wie folgt Stellung nehmen.

Die NCGS ist ein erstmals 1978 beschriebenes Krankheitsbild [1]. Nach der Erstbeschreibung durch Ellis und Linaker finden sich zunächst wenige klinische und wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema. Aufgrund einer steigenden Zahl von betroffenen Patienten, aber auch aufgrund des Interesses in der Öffentlichkeit und den Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung, wurden seit 2010 in drei Konsensuskonferenzen Definitionen des Krankheitsbildes erarbeitet. Als zentrale Kriterien müssen folgende Punkte erfüllt sein, um die Diagnose einer NCGS stellen zu können [2–4]:

  • Die Aufnahme von Weizen führt zu intestinalen und / oder extraintestinalen Beschwerden, die sich bessern, sobald Weizen aus der Ernährung eliminiert wird.

  • Eine Zöliakie und eine Weizenallergie wurden ausgeschlossen.

Trotz intensiver Bemühungen ist die genaue Pathogenese der Erkrankung noch nicht aufgeklärt. Sie steht erst seit wenigen Jahren im Zentrum der systematischen Forschung. Das Fehlen einer gesicherten Pathogenese schließt grundsätzlich das Vorhandensein eines eigenständigen Krankheitsbildes nicht aus; so ist z. B. für das Reizdarmsyndrom (RDS) die Pathogenese keinesfalls einheitlich oder auch klar verstanden [5]. Da Gluten das auslösende Agens bei der Zöliakie ist, wurde eine Glutenunverträglichkeit auch initial für die NCGS vermutet. Allerdings beinhalten Weizen und verwandte Getreide neben Gluten auch andere Bestandteile, die grundsätzlich Symptome auslösen können. Dazu zählen unter anderem Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) und fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (FODMAPs), so dass der Begriff Nichtzöliakie-Weizensensitivität (NCWS) grundsätzlich angebracht wäre, aber andere glutenhaltigen Getreide, welche verwandte ATIs enthalten, ausschließen würde. Ob diese ebenfalls über eine gemeinsame pathophysiologische Endstrecke Beschwerden auslösen, ist zurzeit unklar. Möglicherweise können auch in Weizen enthaltene FODMAPs gewisse Beschwerden verursachen. Diese sind hier als abdominelle Symptome wie Meteorismus oder Bauchschmerzen, aber ohne eine entzündliche Konstellation definiert. Somit stellen die FODMAPs sicher nicht die entscheidende Ursache der NCGS, die gerade auch durch z. T. schwerwiegende Allgemeinsymptome imponieren, dar. Hinweisend dafür ist auch, dass Patienten mit einer NCGS beschwerdefrei werden, wenn sie eine weizen- / glutenfreie Diät einnehmen, aber gleichzeitig weiter FODMAPs anderer Quellen essen [6].

Unbestritten, existiert für die NCGS – anders als bei der Zöliakie – kein etablierter Marker oder ein klares histologisches Korrelat, das zur Diagnose führt. Eine ähnliche Situation finden wir beim RDS. Es gibt aber ohne Zweifel gut fundierte Studien, die Hinweise für eine Beteiligung des angeborenen Immunsystems an der Entstehung der Erkrankung liefern. So finden sich in Dünndarmproben von Betroffenen eine verstärkte Expression des toll-like receptors-2 (TLR2) und TLR4, sowie eine Zunahme der α- und β- intraepithelialen Lymphozyten und eine Abnahme regulatorischer T-Zellen. Ausgeprägte Änderungen des erworbenen Immunsystems – wie bei der Zöliakie – finden sich nicht [7]. In experimentellen Modellen entzündlicher intestinaler und extraintestinaler Erkrankungen verstärken mit der Nahrung aufgenommene ATIs vorbestehende Entzündungen und Autoimmunerkrankungen [6]. Der Mechanismus einer Aktivierung des TLR4 auf dendritischen Zellen des Darmes [8] untermauert eine Rolle der ATIs als „nutritive Immunadjuvanzien“ bei vorbestehender T-Zell-spezifischer Immunaktivierung wie sie insbesondere bei chronischen Erkrankungen vorliegt. An der Entwicklung eines Serumtests für die NCGS nach einmaliger Provokation wird in der Arbeitsgruppe von Prof. Schuppan aktuell intensiv gearbeitet. Zudem sind in 2015 verschiedene doppelblinde klinische Studien zum Effekt der ATIs auf chronisch-entzündliche Erkrankungen geplant; wir werden sicher in absehbarer Zeit einen höheren Wissensstand haben.

Den bisherigen diagnostischen Unsicherheiten trägt die Empfehlung der Leitlinie Rechnung, indem sie strenge Voraussetzungen an die Diagnose einer Nichtzöliakie-Nichtallergie-Weizensensitivität stellt. Dazu zählt neben dem Ausschluss einer Zöliakie und (soweit möglich) Weizenallergie auch eine doppelblinde Weizenprovokation [9]. Diese ist sicherlich im klinischen Alltag eine oft nur schwer umzusetzende Forderung. Allerdings verfolgt die Empfehlung das Ziel eine Überdiagnose dieser Entität, die zu unnötigen Ernährungsrestriktionen führen würde, zu vermeiden. Diese unbegründeten Restriktionen stellen insbesondere in der Pädiatrie ein großes Problem dar. Um den Ausführungen im Leserbrief gerecht zu werden, haben die Koordinatoren der Leitlinie (J. Felber, D. Schuppan und A. Stallmach) nochmals nachgefragt, wo in Deutschland eine doppelblinde Weizenprovokation angeboten wird. Unserem Kenntnisstand nach, wird diese gegenwärtig an mehreren universitären Kinderkliniken angeboten; Ansprechpartner können gerne vermittelt werden.

Angemerkt sei noch, dass selbst Patienten mit einer gesicherten Zöliakie leider keine Mehrkostenentschädigung für ihre kostenintensivere Lebensmittel erhalten. Insofern wäre selbst bei einer zweifelsfreien Sicherung der Diagnose einer „Nichtzöliakie-Nichtallergie-Weizensensitivität“ die Wahrscheinlichkeit für eine Krankenkostgewährung niedrig.

 
  • Literatur

  • 1 Ellis A, Linaker BD. Non-coeliac gluten sensitivity?. Lancet 1978; 1: 1358-1359
  • 2 Ludvigsson JF et al. The Oslo definitions for coeliac disease and related terms. Gut 2013; 62: 43-52
  • 3 Catassi C et al. Non-celiac gluten sensitivity: the new frontier of gluten related disorders. Nutrients 2013; 5: 3839-3853
  • 4 Sapone A et al. Spectrum of gluten-related disorders: consensus on new nomenclature and classification. BMC medicine 2012; 10: 13
  • 5 Andresen V et al. [S2k guideline for chronic constipation: definition, pathophysiology, diagnosis and therapy]. Z Gastroenterol 2013; 51: 651-672
  • 6 Fasano A et al. Non-celiac Gluten Sensitivity. Gastroenterology 2015; pii: S0016-5085(15)00029-3 [Epub ahead of print]
  • 7 Sapone A et al. Divergence of gut permeability and mucosal immune gene expression in two gluten-associated conditions: celiac disease and gluten sensitivity. BMC medicine 2011; 9: 23
  • 8 Junker Y et al. Wheat amylase trypsin inhibitors drive intestinal inflammation via activation of toll-like receptor 4. J Exp Med 2012; 209: 2395-2408
  • 9 Felber J et al. [Results of a S2k-Consensus Conference of the German Society of Gastroenterolgy, Digestive- and Metabolic Diseases (DGVS) in conjunction with the German Coeliac Society (DZG) regarding coeliac disease, wheat allergy and wheat sensitivity]. Z Gastroenterol 2014; 52: 711-743