PPH 2014; 20(06): 299
DOI: 10.1055/s-0034-1395956
Szene
Brunos Welt
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nur noch kurz die Welt retten

Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
21 November 2014 (online)

Die Frühschicht auf der psychiatrischen Akutstation hatte es mal wieder in sich. Zwei sehr aggressive, angespannte Patienten waren zur Aufnahme gekommen, zusätzlich zu 20 weiteren Menschen in akuten, psychiatrischen Krisen. Und einmal mehr war wieder kein Stationsarzt vorhanden.

Zum Glück hatte ich mit meinem Kollegen Udo Dienst. Er ist sozial hochkompetent, deeskalierend, unorthodox und unkonventionell im Umgang mit den Patienten. Wenn man zu zweit auf einer Akutstation arbeitet, ist es ungeheuer wichtig, dass man sich auf die Kollegin oder den Kollegen absolut verlassen kann. Udo ist so jemand, und wir beiden hatten die chaotische Situation richtig gut gemeistert – glaubten wir zumindest bis Dienstschluss: Es gab keine Gewalt, keine Unglücke, selbst die Stationstür konnte nach kurzer Zeit wieder geöffnet werden.

Im Laufe des Vormittags kam dann ein Notruf der Pflegedienstleitung, Udo wurde zu allem Überfluss zur Unterstützung bei einer Fixierung auf eine andere Station gerufen. Ich hatte für eine dreiviertel Stunde die Situation alleine zu verwalten. Udo kam dann aber nicht alleine zurück, er brachte einen sehr aufgebrachten, pausenlos laut schimpfenden Herrn Angler samt Krankenakte mit.

Herr Angler habe auf der Station K fixiert werden sollen, weil er so aggressiv sei. „Er schimpft aber doch nur, der macht nichts. Und er ist völlig problemlos mit mir mitgekommen“, meinte Udo. Also habe er sich geweigert, an der Fixierung teilzunehmen und den Kollegen dort gesagt, er werde den Patienten mit zu unserer Station nehmen. Die Kollegen haben das Angebot gerne angenommen.

Ich fand Udos Einsatz zwar einfach nur toll, jetzt hatten wir allerdings noch einen angespannten Patienten mehr auf unserer Station. Der Vormittag war sehr anstrengend, aber auch das ließ sich gemeinsam gut händeln, wir waren sogar etwas stolz darauf.

Endlich, kurz nach Mittag, fand die Dienstübergabe an den Spätdienst statt. Kollege Karl-Heinz übernahm – er hatte seinerzeit die Krankenpflege- und Sanitäterausbildung bei der Bundeswehr absolviert. Er konnte beeindruckend perfekt Betten machen, die Falten wie mit dem Lineal gezogen. Ich habe das nie annähernd gut hinbekommen, mag deshalb vielleicht auch das Bettenmachen nicht. Außerdem hatte Kollegin Jutta Spätdienst, eine resolute und sehr auf Sauberkeit und Ordnung bedachte Krankenschwester.

Nachdem die Dienstübergabe fast beendet war, meinte Jutta säuerlich: „Als ich auf die Station kam, habe ich mal wieder feststellen müssen, dass weder die von der Wäscherei angelieferte Wäsche in die Schränke einsortiert wurde, noch der Essenswagen vor die Tür gefahren wurde, noch die Küche aufgeräumt und gewischt ist. Das ist mal wieder typisch dafür, dass ihr im Dienst wart.“ Und nach einer angemessenen Kunstpause: „Ihr beiden werdet nie richtige Krankenpfleger!“.

Karl-Heinz meinte kopfschüttelnd: „Nee, mit Routinearbeiten und Regeln haben die es gar nicht“. Dann stimmte er leise an: „Die müssen nur noch kurz die Welt retten.“

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