Gesundheitswesen 2014; 76 - A220
DOI: 10.1055/s-0034-1387070

Erprobung eines selbsthilfeorientierten Interventionsansatzes bei pflegenden Angehörigen mit türkischem Migrationshintergrund auf Basis von Storytelling

Y Yilmaz-Aslan 1, S Glodny 1, P Brzoska 1, O Razum 1
  • 1Abt. Epidemiologie & International Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld

Einleitung/Hintergrund: Ältere Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sind eine der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Sie nehmen viele Angebote, beispielsweise der rehabilitativen und pflegerischen Versorgung, in geringerem Maße als die Mehrheitsbevölkerung wahr. So werden etwa 91 Prozent der Pflegebedürftigen mit türkischem Migrationshintergrund zu Hause von ihren Angehörigen versorgt [1]. Die Nutzung von Angeboten der Altenhilfe und -versorgung wird durch unterschiedliche, teils kulturbedingte, Barrieren bei der Inanspruchnahme erschwert [2]. In der Folge werden institutionelle Unterstützung und andere Fremdhilfen von pflegenden Angehörigen mit türkischem Migrationshintergrund kaum in Anspruch genommen [3]. Dies kann zu hohen körperlichen und psychischen Belastungen in Form von Isolation, hohen Verpflichtungen, Zukunftssorgen und Hilflosigkeit bei dieser Bevölkerungsgruppe führen. Speziell auf pflegende Angehörige mit türkischem Migrationshintergrund ausgerichtete Unterstützungskonzepte sind daher notwendig.

Methoden: Im Rahmen der Studie saba wurde ein selbsthilfeorientierter Interventionsansatz speziell für pflegende Angehörige mit türkischem Migrationshintergrund entwickelt und erprobt. Hierbei sollten durch das sog. Storytelling, d.h. das gegenseitige Erzählen pflegebezogener Erfahrungen, der Informationsaustausch und die Selbstmanagementkompetenzen von Pflegenden gefördert werden. Hierzu wurden zu pflegerelevanten Themen türkischsprachiges Informationsmaterial sowie türkischsprachige Starter-Geschichten vorbereitet. In Anwesenheit von speziell geschulten türkischen Gesundheitsmediatoren/innen fanden regelmäßige Treffen mit den pflegenden Angehörigen statt. Bei jedem Treffen wurde mit Hilfe einer Starter-Geschichte ein Themenschwerpunkt erarbeitet [4]. Insgesamt fanden sich vier Angehörigengruppen mit 29 pflegenden Angehörigen zehnmal für eine Stunde pro Woche in drei Regionen Nordrhein-Westfalens zusammen. Die Angehörigentreffen wurden mit dem Einverständnis der Teilnehmer/innen auf Tonband aufgenommen. Diese Tonaufnahmen wurden transkribiert und mit Hilfe der zusammenfassenden Inhaltsanalyse auf methodischer und inhaltlicher Ebene ausgewertet.

Ergebnisse: Die Intervention wurde von pflegenden Angehörigen als Ressource der Entlastung, Abwechslung und Hilfe erachtet. Außerdem motivierten die Geschichten die pflegenden Angehörigen zum gegenseitigen Erzählen ihrer eigenen, pflegebezogenen Erfahrungen. So wurden gemeinsam Lösungsstrategien für alltäglich auftretende Probleme entwickelt und kommuniziert. Die erzählgenerierende Vorgehensweise hat besonders den Wissens-, Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den pflegenden Angehörigen gefördert. Ein weiterer großer Gewinn der Intervention ist die Stärkung der Selbsthilfepotenziale unter den pflegenden Angehörigen [5].

Diskussion/Schlussfolgerung: Im Rahmen der Studie saba stellt sich das Storytelling als ein kulturell angepasster selbsthilfeorientierter Interventionsansatz dar. Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Storytelling bei pflegenden Angehörigen mit türkischem Migrationshintergrund eine fördernde Rolle hinsichtlich ihrer Pflegesituation übernommen hat und eine große Ressource in der pflegerischen Versorgung sowie zur Entlastung von pflegenden Angehörigen darstellen kann. Die auf dem Storytelling-Ansatz basierende Intervention könnte auf andere Versorgungsbereiche (z.B. Prävention und Rehabilitation) übertragen werden und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von kultursensiblen und partizipativen Empowerment-Konzepten in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund.