Gesundheitswesen 2014; 76 - A175
DOI: 10.1055/s-0034-1387025

Die Arbeitsmarksituation von Beschäftigten der Werkstätten für behinderte Menschen – Vorstellung einer Evaluationsstudie

A Seidel 1, M Michel 1, SG Riedel-Heller 1
  • 1Universität Leipzig, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Leipzig

Hintergrund: Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt im Artikel 27 die Teilhabe am Arbeitsleben als Teil der gesamtgesellschaftlichen Partizipation fest. Im Absatz b) wird auf „das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, … gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit (…)“ verwiesen[1]. Ziel des Praxisprojektes ENTER- „Entwicklung und Erprobung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten für Besucher von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)“ war, Beschäftigungsmöglichkeiten in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen für Menschen mit Lernschwierigkeiten (bisher geistiger Behinderung) und psychischen Erkrankungen aus WfbM zu ermitteln. Dazu wurden die Bedingungen für einen erfolgreichen Übergang aus der Werkstatt in ein derartiges Beschäftigungsverhältnis analysiert. Es wurden hemmende und fördernde Faktoren für den Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse analysiert, potentielle Arbeitgeber für Praktika oder Übernahmen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse gewonnen, geeignete Beschäftigte in den teilnehmenden Werkstätten auf diesen Übergang vorbereitet und der Übergang in diese allgemeinen Beschäftigungsverhältnisse sowohl praktisch durch den Integrationsfachdienst (IFD) als auch wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Methode: Die qualitative wissenschaftliche Begleitung des Projektes basiert auf einer Struktur-, Prozess- und Ergebnisevaluation nach Groeben [2]. Die Datenerhebung zur Evaluierung und wissenschaftlichen Begleitung des Projektes ENTER erfolgte über schriftliche Befragungen, persönliche Gespräche, Telefoninterviews, Expertengespräche sowie Daten- und Internetrecherchen. Über diesen Ansatz war es möglich, entsprechend des Evaluierungskonzeptes fördernde und hemmende Faktoren für den Übergang Beschäftigter aus den WfbM in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu ermitteln und Empfehlungen für die Weiterentwicklung von Maßnahmen zum Übergang Beschäftigter der WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erarbeiten.

Ergebnisse: Es konnte einem Beschäftigten der WfbM ein Praktikumsplatz vermittelt werden. Eines der Haupthindernisse für einen Übergang behinderter Menschen aus den WfbM stellt die nach wie vor anhaltende schlechte Arbeitsmarktsituation für behinderte Menschen und Vorurteile allgemein dar. Initiativen und Projekte blieben meist wenig nachhaltig nach deren Auslaufen. Wenig qualifizierte Tätigkeiten werden häufig ausgelagert oder durch Automatisierungsmaßnahmen überflüssig. Dazu kommt als kontraproduktiver Faktor, dass Unternehmen durch Vergabe von Aufträgen an WfbM oder die Bereitstellung von Außenarbeitsplätzen an Beschäftigte aus den Werkstätten der Schaffung von Pflichtarbeitsplätzen im Unternehmen oder der Zahlung der Ausgleichsabgabe entgehen können. Für eine erfolgreiche Begleitung des Beschäftigten in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bedarf es des Zusammenspiels aller Beteiligten. Insbesondere die Begleitung in der Phase der Einarbeitung hilft, am Arbeitsplatz bestehende Vorurteile, Missverständnisse oder sonstige Probleme frühzeitig zu erkennen und abzubauen. Neben Gesprächen auf Leitungsebene auch im Team, in das der Beschäftigte aufgenommen werden soll. Dabei muss auf eine gelungene Kommunikation geachtet werden. Hierfür sind qualifizierte Unterstützer oder Assistenten nötig sowie z.B. die Verwendung von Leichter Sprache. Das auf Bundesebene begonnene Projekt unterstützte Beschäftigung [3] erscheint eine Erfolg versprechende Maßnahme.

Diskussion: Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass behinderte Menschen selbst und ihre Betreuer besser und langfristiger auf derartige Veränderungen vorbereitet und von Anfang an in den Prozess einbezogen werden müssen um Ängste abbauen zu können und zu wissen, was sie dabei erwartet. Initiativen und Projekte blieben aufgrund ihrer kurzen Laufzeit meist wenig nachhaltig. Die behinderten Beschäftigten müssen behutsam Schutzräume verlassen, begleitet und unterstützt durch Fachpersonal. Die gegenwärtige Situation erfüllt somit nicht den Anspruch der selbstbestimmten Teilhabe und fördert die Armutsgefährdung von Menschen mit Behinderung. Aus dieser Armutsgefährdung können zusätzliche gesundheitliche Risiken erwachsen.