Einleitung/Hintergrund: Adipositas ist ein wichtiges Public Health-Problem, auch wenn bei Kindern mittlerweile
stagnierende bzw. sinkende Quoten beobachtet werden. Der Anteil der adipösen Kinder
hängt dabei u.a. davon ab, nach welchem Referenzsystem der BMI der Kinder kategorisiert
wurde. In Deutschland wird im Allgemeinen das von der AGA empfohlene Referenzsystem
nach Kromeyer-Hauschild et al. (KH) angewandt, bei internationalen Vergleichen das
von der IOTF empfohlene Referenzsystem nach Cole et al. Seit 2010 steht zusätzlich
ein vom Robert Koch-Institut aus den Daten der KiGGS-Studie ermitteltes Referenzsystem
zur Verfügung. Betrachtet man die Rangfolge von Adipositasquoten zwischen den Geschlechtern,
zwischen Gruppen nach Migrationshintergrund oder nach Landkreisen und kreisfreien
Städten etwa nach Kromeyer-Hauschild, stellt sich die Frage, ob diese Rangfolgen real
sind oder vom Referenzsystem abhängen, in diesem Sinne also möglicherweise ein statistisches
Artefakt darstellen. Diese Frage wird anhand eines Vergleichs von Rangreihen des Anteils
adipöser Kinder mit den drei Referenzsystemen untersucht.
Daten/Methodik: Die erstuntersuchten Kinder in der Schuleingangsuntersuchung zum Schuljahr 2009/2010
in Bayern (n = 114.081) werden nach den Cut-Off-Points der Referenzsysteme von KiGGS,
Kromeyer-Hauschild und Cole kategorisiert. Die Rangreihen der jeweiligen Anteile der
adipösen Kinder unterschieden nach Geschlecht, Migrationshintergrund (Proxy-Variable:
Muttersprache der Eltern) und regional nach Landkreisen und kreisfreien Städten werden
in vergleichenden Analysen betrachtet.
Ergebnisse: Bei Cole sind mehr Mädchen als Jungen adipös, bei KiGGS und Kromeyer-Hauschild mehr
Jungen als Mädchen; es ergibt sich daher für die Jungen eine andere Rangreihe (KiGGS
> KH > Cole) als für die Mädchen (KiGGS > Cole > KH). Beim Migrationshintergrund ergibt
sich bei allen Referenzsystemen die gleiche Rangreihe der Adipositasquote für die
Vergleichsgruppen: Kinder mit beidseitigem Migrationshintergrund weisen höhere Adipositasquoten
auf als Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund und diese höhere als Kinder ohne
Migrationshintergrund. Bei den Landkreisen und kreisfreien Städten kommt es zu unterschiedlichen
Rangfolgen je nach Referenzsystem. Dennoch korrelieren die Rangfolgen der drei Referenzsysteme
sehr stark (> 0,95) und hoch signifikant (p < 0,01) miteinander. Auch das typische
geografische Nordost-Süd-Muster in Bayern bleibt erhalten.
Diskussion/Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen, dass es bei Geschlecht und bei Regionalvergleichen Rangreihenunterschiede
je nach Referenzsystem gibt, d.h. dass die Rangfolgen hier möglicherweise statistische
Artefakte darstellen. Die Rangreihenunterschiede im Regionalvergleich sind im Allgemeinen
eher geringfügig. Im kleinräumigen Vergleich sind jedoch im Einzelfall auch größere
Einflüsse des Referenzsystems in Rechnung zu stellen, dies wäre beispielsweise in
der kommunalen Gesundheitsberichterstattung zu berücksichtigen. Die Befunde zum Migrationshintergrund
sind referenzsysteminvariant. Da es keinen „Goldstandard“ gibt, der die wahren Adipositasquoten
wiedergibt, wird angenommen, dass referenzsysteminvariante Rangfolgen real sind. Teilweise
wird dies durch Überlegungen zur externen Validität der Rangfolgen gestützt, zum Beispiel
was die Adipositasquoten nach Migrationshintergrund angeht oder im großräumigen Regionalvergleich
(„Nordost-Süd-Gefälle“).