Gesundheitswesen 2014; 76 - A160
DOI: 10.1055/s-0034-1387010

Psychische Erkrankungen im Arbeitsleben: Betrieblich Gesundheit fördern und Arbeit schützen über neue Kooperationen mit Selbsthilfe

P Schmidt-Wiborg 1, R Dille-Beyer 2, S Liebherr 1
  • 1BAG SELBSTHILFE Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V., Düsseldorf
  • 2Familien Selbsthilfe Psychiatrie Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e.V., Bonn

Ziel: Trotz des Vorliegens zahlreicher Konzepte und umfangreicher praktischer Erfahrungen mit betrieblicher Gesundheitsförderung hat sich die Herausforderung der Unternehmen durch psychische Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich vergrößert. Die Zahl der Erkrankungsfälle und der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen ist immer weiter angestiegen [1; 2]. So stellt sich die Frage nach neuen Herangehensweisen, die speziell psychische Belastungen und Erkrankungen noch stärker berücksichtigen. Hier ist besonders die Frage nach Kooperationen und deren Nutzen zu stellen.

Methode: Die präsentierten Ergebnisse sind belegt durch empirische Erfahrungen aus einer Kooperation zwischen BKK Bundesverband und der Familien Selbsthilfe Psychiatrie, Bundesverband Angehörige psychisch Kranker (BApK) e.V.

Ergebnisse: Die besondere Problematik im Bereich psychischer Belastungen und Erkrankungen besteht nach wie vor darin, dass in Unternehmen große Unsicherheit und Berührungsängste in Bezug auf psychische Probleme bis hin zu Stigmatisierung und Diskriminierung bestehen [3]. Die Folgen sind, dass über Probleme hinweggegangen wird anstatt dass proaktiv gehandelt wird. Die empfohlene Kombination von individuellen und strukturellen Maßnahmen [4] erweist sich demgegenüber oftmals als machtlos. Personen, die selbst oder als Angehörige von psychischen Erkrankungen betroffen sind, sind mit Mechanismen der Wahrnehmung und Kommunikation in verschiedenen Stadien von psychischer Belastung oder Erkrankung ausgezeichnet vertraut. Dies wurde als Ansatzpunkt in einem Kooperationsprojekt von BKK Bundesverband und Familien Selbsthilfe Psychiatrie, Bundesverband Angehörige psychisch Kranker (BApK) e.V. genutzt. Es wurde ein Konzept zur Fortbildung von Führungskräften mit inhaltlichem Schwerpunkt zu psychischen Erkrankungen im Arbeitsleben erarbeitet und regelmäßig weiter entwickelt. Das Fortbildungsangebot richtet sich an die besonders wichtige Zielgruppe der Führungskräfte [5; 6]. Es zeichnet sich durch die aktive Beteiligung von Betroffenen und Angehörigen aus, die nicht den Betrieben angehören, aus denen die Führungskräfte stammen. Dies verschafft der Fortbildung vergleichsweise breitere Möglichkeiten der methodisch-didaktischen Gestaltung. Austausch und Begegnung mit Betroffenen sensibilisieren die Führungskräfte für die Bedeutung des gesundheitsfördernden und präventionsorientierten Umgangs mit psychischen Problemen. Eine Selbsthilfeorganisation ist darüber hinaus in besonderer Weise über typische Probleme an Schnittstellen der involvierten professionellen Systeme informiert und kann dieses Know-How in Fortbildungen einfließen lassen. Für die Qualitätssicherung war ein wichtiger Faktor, dass bundesweit aufgestellte Akteure kooperieren. Eine bundesweit tätige Selbsthilfeorganisation verfügt über einen strukturierten Zugang zu und Wissen über kollektive Erfahrungen von Betroffenen, der BKK Bundesverband verfügt bundesweit über Zugang zu Unternehmen, mithin ein passgenaues Matching für eine dauerhafte Zusammenarbeit [7]. Die Kooperation wurde schrittweise erweitert auf die Deutsche DepressionsLiga und das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, so dass ein strukturbildender Effekt zu beobachten war. Dies bestätigt sich auch in Hinblick darauf, dass Teilnehmende in regionalen Netzwerken oder in der innerbetrieblichen Gesundheitsförderung die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe fortsetzen können.

Schlussfolgerungen: Fortbildungen für Führungskräfte in Zusammenarbeit mit Betroffenen und Angehörigen haben ein besonders hohes Potenzial. Sie steigern die Kompetenzen in Unternehmen, das Thema der psychischen Belastungen und Erkrankungen in die betriebliche Gesundheitsförderung aufzunehmen und zu integrieren. Die Kooperation zeigt modellhaft, dass betriebliche Gesundheitsförderung hinsichtlich psychischer Erkrankungen durch innovative Kooperationsstrukturen verbessert werden kann. Auch für die Weiterentwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes ist es wegweisend.