Gesundheitswesen 2014; 76 - A111
DOI: 10.1055/s-0034-1386961

Ein neues Versorgungsmodell für den Übergang von der stationären Rehabilitation in die häusliche (Selbst-)Versorgung bei Pflegebedürftigkeit – das Konzept ProPASS

A Menzel-Begemann 1, B Klünder 1, K Wippermann 1, D Schaeffer 1
  • 1Universität Bielefeld, Bielefeld

Hintergrund: Seit Jahren sind Bemühungen zur Überwindung der Schnittstellenprobleme an den Sektorengrenzen erkennbar [1]. Oft konzentrieren sie sich aber auf systemische Probleme und schenken der Situation der Erkrankten und ihren Angehörigen kaum Beachtung. Gerade aber für sie ist die Rückkehr in die häusliche (Selbst-)Versorgung nach einem stationären Aufenthalt ein bedeutsamer Schritt, der durch die grundlegende Veränderung der Versorgungssituation und -verantwortlichkeit [2] mit Unsicherheiten und Risiken verbunden ist [3, 4]. Daher wirft diese neue Phase enorme Anpassungsherausforderungen auf, die umso besser bewältigt werden, je besser die Beteiligten darauf vorbereitet werden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wird ein neues Versorgungsmodell für („pro“) einen problem- und nahtlosen Übergang bzw. eine Passage (the „pass“) von der stationären in die häusliche Versorgung erprobt. ProPASS – dies steht auch für die vier unterschiedlichen, sowohl einzeln als auch im Gesamtpaket nutzbaren Interventionsmodule (Probe-Wohnen, Patienten-/AngehörigenSchulung & Selbstinformations-/Selbstlernzentrum), mit denen Patient(inn)en wie Angehörige bereits in der stationären Einrichtung auf die häusliche Pflegesituation vorbereitet werden. Die Module bestehen u.a. aus Übungs- und Lernmodulen, die die Erprobung von Alltagsabläufen im häuslichen Setting ermöglichen. Sie richten sich explizit nicht nur an Erkrankte, sondern auch an die betreuenden/pflegenden Angehörigen, deren Bedeutung für die Förderung der sozialen Teilhabe zunimmt [5, 6]. Denn viele Patient(inn)en können nach der Entlassung nicht wieder an ihren ursprünglichen Gesundheits- und/oder Leistungsstand anknüpfen und bleiben auf Unterstützung angewiesen. Gleichzeitig ist chronische Krankheit immer auch für die Familie mit Herausforderungen verbunden, die es zu berücksichtigen gilt.

Daten/Methodik: Es soll die Frage beantwortet werden, ob ProPASS eine autonomieerhaltende und nachhaltige häusliche Versorgung fördert. Bewertungsgrundlage ist eine formative sowie summative Evaluation auf Basis quali- und quantitativer Daten, die den Nutzen für die informellen und professionellen Akteure sowie „ungeplante Rehospitalisierungen“ dokumentiert.

Im Beitrag sollen zunächst die von den Beteiligten beschriebenen Bedürfnisse und Bedarfe bei der Vorbereitung auf die häusliche Versorgung fokussiert werden, die als Grundlage für die Ausgestaltung der Interventionsmodule dienten: Die Erfassung der Bedürfnisse und Bedarfe erfolgte anhand leitfadengestützter Interviews mit Pflegebedürftigen, pflegenden Angehörigen und Pflege-Expert(inn)en. Zentrale Kategorien der inhaltsanalytischen Auswertung waren Alltagsverrichtungen, Rollen-/Werteveränderungen, Erwartungen, Herausforderungen, Konflikte, Anleitungs- und Schulungsbedarf.

Ergebnisse: Die Interviews verdeutlichen aus verschiedenen Perspektiven die mit der häuslichen Versorgung verbundenen Herausforderungen und Konfliktpotenziale. Sowohl Pflegebedürftige als auch pflegende Angehörige beschreiben die Umstellung alltäglicher Abläufe, das Zurückstellen von Gewohnheiten und eigenen Bedürfnissen sowie den emotionalen Umgang mit der neuen Situation als enorme Anstrengung. Pflege-Expert(inn)en berichten ergänzend von falschen Erwartungen, Unsicherheiten und häufigen Überforderungen, die von den Beteiligten nicht rechtzeitig erkannt werden und die sich belastend auf die Versorgungssituation auswirken.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die aus verschiedenen Perspektiven beschriebenen Herausforderungen und Konfliktpotenziale verdeutlichen die Relevanz einer frühzeitigen Vorbereitung auf die häusliche Versorgung. Die Rehabilitation als „geschütztes Setting“ übernimmt hierbei eine wesentliche Funktion zur Teilhabeförderung: Pflegehandeln, Stressbewältigungskompetenzen und Informationssammlung, wie sie bei ProPASS vermittelt werden, sind aufgrund der beschriebenen Anforderungen zentrale Elemente zur Selbstmanagementförderung sowohl der Pflegebedürftigen als auch ihrer pflegenden Angehörigen und damit zur Sicherung der Versorgungsqualität und der Verhinderung von Pflegebedürftigkeit resp. ihrer Verschlimmerung.