Gesundheitswesen 2014; 76 - A100
DOI: 10.1055/s-0034-1386950

Gesundheitliche Ungleichheit bei Studierenden

K Lohmann 1, H Abt 1, K Töpritz 1, F Wörfel 1, B Gusy 1
  • 1Freie Universität Berlin (FB Erwiss. & Psych.), Berlin

Hintergrund: Studierende werden allgemein als eine privilegierte Gruppe wahrgenommen, die vorwiegend aus akademischen Elternhäusern stammt und Aussichten auf einen überdurchschnittlich bezahlten Beruf hat. Da der berufliche Status, das Einkommen und der Bildungsstatus sowohl Morbidität [1] als auch Mortalität und Lebenserwartung beeinflussen [2], wird implizit geschlussfolgert, dass Studierende, auch aus gesundheitlicher Sicht, aktuell und zukünftig privilegiert sind. Tatsächlich stammen nach der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks die Hälfte der Studierenden aus Familien ohne akademischen Hintergrund, davon rund ein fünftel aus Familien, in denen maximal eine Elternteil einen, zudem nicht akademischen, Berufsabschluss hat [3]. Diese sogenannten Bildungsaufsteiger beginnen ihr Studium mit anderen Voraussetzungen als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus akademischen Elternhäusern. Für Jugendliche (11 – 17 Jahre) konnte gezeigt werden, dass ein niedriger sozialer Status der Herkunftsfamilie mit einer geringeren Ausprägung von Gesundheit, bzw. mit dem häufigeren Auftreten von gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergeht [4]. Studierende befinden sich, ähnlich wie Jugendliche, noch in einem Übergangsstadium, ohne abgeschlossene Ausbildung und oft ohne eigenes Einkommen, so dass auch bei ihnen davon ausgegangen wird, dass der soziale Satus der Herkunftsfamilie das Äquivalent sozialer Ungleichheit ist. Mit den bisher vorliegenden repräsentativen Studien zur Gesundheit von jungen Erwachsenen einerseits und zur sozialen Herkunft von Studierenden andererseits, können keine Schlüsse zum Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Gesundheit, also zur gesundheitlichen Ungleichheit, bei Studierenden gezogen werden. Deshalb soll im Rahmen dieses Beitrags der Frage nachgegangen werden, ob sich auch bei Studierenden gesundheitliche Ungleichheit zeigt.

Methode: An der Freien Universität Berlin wurden im Januar 2012 2724 Studierende im Rahmen einer periodischen Gesundheitsberichterstattung zu ihrer subjektiven sozialen Herkunft sowie zu verschiedenen positiven und negativen Dimensionen ihrer Gesundheit (allgemeiner Gesundheitszustand [VAS-EQ5 d], Lebenszufriedenheit [Satisfaction with Life Scale], Burnout [Maslacher Burnout Inventory – Student Scale], Depressivität [PHQ-D9], allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung, körperliche Beschwerden) befragt. Daneben wurden Aspekte des Studiums, Gesundheits- und Risikoverhalten und weitere soziodemografische Angaben erhoben. Die Studierenden wurden per E-Mail eingeladen an der Online-Befragung teilzunehmen.

Ergebnisse: Für alle Dimensionen von Gesundheit konnten die erwarteten Zusammenhänge zur subjektiven sozialen Herkunft gezeigt werden (alle Korrelationen auf 0,01 Niveau signifikant; r bis 0,18). Allerdings waren die Effektstärken gering bis sehr gering.

Schlussfolgerung: Gesundheitliche Ungleichheit ist auch bei Studierenden zu beobachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Studierenden aus den unteren sozialen Herkunftsgruppen vermutlich um eine Positivauswahl handelt [5], d.h., dass insbesondere die jungen Erwachsenen mit guter Gesundheit an die Hochschulen gehen. Wenn Hochschulen auch in Zukunft für Studierende aus allen gesellschaftlichen Schichten attraktiv bleiben bzw. wieder vermehrt attraktiv werden sollen, ist es notwendig, dass hochschulspezifische Gesundheitsberichterstattungen gezielt gesundheitliche Ungleichheit unter Studierenden in den Fokus rücken. Es sind weitere Analysen z.B. zum Gesundheits- und Risikoverhalten sowie eine methodische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der sozialen Herkunft notwendig.