Gesundheitswesen 2014; 76 - A88
DOI: 10.1055/s-0034-1386938

Bevölkerungsbezogene Versorgungsforschung zum Schlaganfall: 20 Jahre Erlanger Schlaganfall Register

P Kolominsky-Rabas 1, M Weingärtner 1, H Rosenthal 1, C Sedlak 1, M Hess 1, S Wiedmann 2, P Heuschmann 2
  • 1Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (IZPH), Erlangen
  • 2Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg

Hintergrund: Der Schlaganfall ist nicht nur eine der häufigsten Todesursachen weltweit, er gehört auch zu den teuersten Erkrankungen überhaupt [1]. Um dieser gesundheitspolitischen Herausforderung wirksam begegnen zu können, sind breite strategische Lösungsansätze notwendig. Getreu der Feststellung „You can only manage, what you can measure” ist die Kenntnis epidemiologischer Größenordnungen, der Versorgungsabläufe sowie gesundheitsökonomischer Kennzahlen unabdingbar. Für diese Fragestellungen eignen sich Register mit Bevölkerungsbezug in hervorragender Weise [2]. Register zeichnen sich durch eine vollständige Erfassung möglichst aller Behandlungsfälle einer definierten Region in einer zentralen Datenbank aus. Die Patienten werden nachverfolgt bis sie versterben, auswandern oder ein Rezidiv eintritt, welches einen neuen Behandlungsfall generiert. Somit können begleitend große Patientenkohorten unter realen Versorgungsbedingungen (real-life care settings) über sehr lange Zeiträume verfolgt und Verbesserungspotentiale identifiziert werden. Vorrangiges Ziel des Erlanger Schlaganfall Registers ist es deshalb, den Entscheidungsträgern in der deutschen Gesundheitspolitik die dringend benötigten epidemiologischen, behandlungsrelevanten und gesundheitsökonomischen Informationen auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz bereitzustellen [3].

Methodik: Das Erlanger Schlaganfall Register (ESPro) umfasst als bevölkerungsbezogenes Schlaganfallregister eine Studienpopulation von insgesamt 105.000 Einwohnern der Stadt Erlangen (Stand 2012). Seit 1994 erhebt das ESPro im Auftrag des BMG im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) Langzeitdaten zur Epidemiologie [4], Risikofaktorprofilen [5], Versorgungsbedarf [6] sowie zu den Kosten der Volkskrankheit Schlaganfall [7]. Im ESPro werden alle hospitalisierten als auch nicht-hospitalisierten, erstmaligen Schlaganfälle (First ever in a lifetime stroke, FELS) im Stadtgebiet von Erlangen eingeschlossen und lebenslang nachverfolgt.

Ergebnisse: Im Zeitraum 1995 – 2010 wurden insgesamt 3.243 Patienten mit einem FELS (s.o.) im ESPro eingeschlossen (Alter 75 Jahre (Median); 55,2% Frauen). Für die Schlaganfallinzidenz konnte über den Zeitraum von 16 Jahren eine Abnahme bei Männern (Incidence Rate Ratio [IRR] 1995 – 1996 versus 2009 – 2010 0,78; 95% KI 0,58 – 0,90), nicht jedoch bei Frauen beobachtet werden (IRR 0,90; 95% KI 0,74 – 1,10). Die Inzidenz innerhalb der Schlaganfall-Untergruppen zeigte eine Abnahme beim Hirninfarkt („ischämischer Schlaganfall“) bei Männern (IRR 0,73; 95% KI 0,57 – 0,93).

Diskussion: Die Inzidenz für den Schlaganfall sowie für dessen diagnostische Untergruppen zeigte über den Zeitraum von 16 Jahren Variationen hinsichtlich der Geschlechtsverteilung. Die Ursache dafür könnte in der unterschiedlichen Entwicklung und Behandlung der maßgeblichen Gefäßrisikofaktoren liegen. Angesichts der Zunahme altersbedingter Erkrankungen stellen Register mit Bevölkerungsbezug eine sehr zuverlässige – weil repräsentative – Planungs- und Entscheidungsgrundlage dar. Das lebenslange Follow-up und die Datenerhebung über die Sektorengrenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung hinweg sind die Alleinstellungsmerkmale des ESPro. Diese Darstellung der gesamten Versorgungskette der Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und der hausärztlichen Betreuung ermöglicht die Identifikation von Bereichen der Über-, Unter- und Fehlversorgung [8,9]. Aus gesundheitsökonomischer Sicht kann der ermittelte Ressourcenverbrauch für gezielte Kostenberechnungen und Kapazitätsplanungen genutzt werden [7]. Mit seinem methodischen Ansatz als bevölkerungsbezogenes Register leistet das ESPro einen wichtigen Beitrag zur Bedarfsabschätzung und Versorgungsplanung in Deutschland im Sinne einer ergebnisorientierten Versorgungsforschung.

Förderhinweis: Das Erlanger Schlaganfall Register wird durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) gefördert (Kennzeichen: IIA5 – 2014 – 2514KEU305).